Ab den 1920er Jahren, im Verlauf der damaligen
Weltwirtschaftskrise, kam es in Deutschland zu einem Zusammenbruch weiter Wirtschaftsbereiche.
Das wirkte sich aus bis in das Alltagsleben der Menschen. Infolge steigender
Massenarbeitslosigkeit und unzureichender Entlohnung der wenigen, die noch Arbeit
hatten, sank die Kaufkraft der Menschen auch für existentiell notwendige
Güter wie Nahrung und Wohnung, viele Familien verarmten. Die offiziellen
Zahlen gaben für 1928 etwa 7% Arbeitslose im gesamten Deutschen Reichsgebiet
an, aber die tatsächlichen Zahlen lagen weitaus höher. 1931 waren
mehr als 30% der Bevölkerung arbeitslos gemeldet. 50 bis 70 % der Beschäftigten
verdienten als Kurzarbeiter nur ein geringes des Gehaltes eines Vollzeitarbeiters.
Die Wohlfahrtsbehörden konnten nur ein Minimum an Unterstützung gewähren
und waren mit der Bewältigung ihrer Aufgaben hoffnungslos überfordert.
Es gibt noch heute sichtbare Spuren der damaligen behördlichen Maßnahmen,
die sogenannten Notstandsarbeiten. Der Bau der Verbindungsstraße von Altona
- Stellingen nach dem Volkspark und dem Altonaer Stadion beispielsweise wurde
1928 als Notstandsarbeit von Arbeitslosen durchgeführt, die dafür
eine Saison lang Beschäftigung fanden. Für die Regierung Schleswig
und der Magistrat der Stadt Altona waren die Zuschüsse dieser Bauten aus
der wertschaffenden Arbeitslosenfürsorge eine wichtige Finanzierungsquelle
in einer Zeit, in der die Staatskassen leer waren. Notstandsarbeiten wie diese
sollen, wie es in einem Antrag der Gemeinde Eidelstedt auf Notstandsarbeiten
für einen Sportplatz hießErwerbslosen, die mit kurzen Unterbrechungen
fast 1 Jahr hindurch erwerbslos und in dieser Zeit auf die karge Erwerbslosenunterstützung
angewiesen waren, von der sie nicht einmal den notdürftigsten Lebensunterhalt
bei der gegenwärtigen Teuerung bestreiten können, vor dem gänzlichen
Untergang, dem Müßiggang, der Arbeitsscheu und sonstigen Untugenden
zu bewahren und um das auf diese Weise zerrüttete Familienleben der Erwerbslosen
aufbauen helfen
Viele Menschen, die im Stadtbereich Hamburgs gewohnt hatten, vor allem in den
Hafengebieten, in St. Pauli und Altona, verloren mit der Arbeit auch ihre Wohnungen.
Zimmer in St. Georg beispielsweise waren unter 6 Mk pro Woche nicht zu haben,
für Erwerbslose, die nur 5 MK Unterstützung erhielten, fast unerschwinglich.
Der Magistrat der Stadt Altona versuchte 1928 vergeblich durch behördliche
Anordnungen die Wohnungsnot zu lindern, gegebenenfalls hielt sich der Senat
die Beschlagnahmung gefährdeten Wohnraums vor. Diese Anordnung brachte
nicht den gewünschten Erfolg. Die betroffenen Menschen konnten sich auf
Behördenmaßnahmen wie diese nicht verlassen und waren auf Selbsthilfe
angewiesen, sie meisterten die Not mit Kreativität und nicht immer gesetzeskonformen
Organisationstalent. Teilweise kam es zu Lebensmittel-Unruhen in
Altona und im Altonaer Grenzgebiet. Gegen die Aushungerung der Erwerbslosen!
Für Brot und Arbeit! lautete eine Forderung aus dem Jahr 1929 auf
einem der Flugblätter des Erwerbslosenausschuss Groß-Hamburg mit
dem für eine Kampfkundgebung im Lokal Wulf in der Großen
Bergstraße geworben wurde. Die Arbeitslosigkeit politisierte die Menschen.
Die obdachlos gewordenen Menschen, die nicht bei Freunden oder Verwandten unterkommen
konnten, mussten notgedrungen auf der Straße leben. Teilweise stellte
die Wohlfahrtsbehörde auch Baracken auf, die aber für die große
Zahl an Bedürftigen nicht ausreichten. Offiziell galt Obdachlosigkeit als
polizeiwidriger Zustand der mit Polizeimaßnahmen zu beseitigen
sei. Das bedeutete vor allem die Einweisung in ein Obdachlosenasyl. Teilweise
wurden Obdachlose auch in den Zellen des Staatsgefängnisses untergebracht.
Kein Wunder, dass die obdachlos gewordenen Arbeiter dem zu entkommen versuchten.
Es begann eine Wanderbewegung in die Randbezirke der Stadt, und viele zogen
in die Region um Bahrenfeld, Lurup, Eidelstedt und Osdorf, in Kleingartenhäuschen,
selbstgebastelte Behelfsheime oder in Bauwagen und Straßenbahnwagen. Manche
siedelten illegal, ohne eine Genehmigung der Baupolizei einzuholen, andere konnten
das Land, auf dem sie siedelten, pachten oder gar billig von der Stadt oder
den Bauern erstehen.
Ab ca. 1920 wurden die Grundsteine für viele Siedlungen gelegt, die
immer noch Teile des Strassenbildes in Eidelstedt und Lurup prägen. Zahlreiche
alte Einfamilienhäuser stammen aus dieser Zeit. Auch Familien des Kleinbürgertums
und des Mittelstandes, unter ihnen viele Handwerksmeister und leitende Angestellte,
litten in den Jahren der Wirtschaftskrise unter der Not und begannen mit einfachen
Mitteln in den Stadtrandgebieten zu siedeln. 1920 konnte der Siedlungsverein
Eigenheim Eidelstedt mithilfe staatlicher Förderung Bauprojekte realisieren.
Die Berufe dieser Siedler wurden bei diesen und anderen Anträgen angegeben,
so können sie uns heute ein Bild der sozialen Struktur dieser Menschen
vermitteln. Es waren Lehrer, Eisenbahngärtner, Milchhändler, Viehhändler,
Bahnbeamter, Bäckermeister und Halbhufner, also eher Menschen aus dem Mittelstand.
Dem Siedlungsverein Eigenheim e.V. in Eidelstedt in der Halstenbeker
Straße, Fangdieckstraße und Luruper Straße gehörten Familien
an, deren Männer Berufe ausübten wie Schiffsführer, Mechaniker,
Kontorist, Maurer und Eisenbahnarbeiter. Bauausführende waren die Grundstückseigner
zum größten Teil selbst. Sie bekamen Landesdarlehen und Beihilfen
durch die Gemeinde Eidelstedt, ohne diese Förderung hätten sie ihre
Häuser nicht halten können. Sie waren darauf angewiesen, Zimmer zu
vermieten und Selbstversorgung zu betreiben, um die Hypotheken abzahlen zu können.
Die Herstellungskosten für ein Doppelhaus mit 82,52 qm betrugen 100 800
RM. Das sind horrende Summen, wenn man bedenkt, dass der durchschnittliche
Arbeitslohn bei ca. 40 RM im Monat lag.
Während die Siedler des Mittelstandes es sich also teilweise leisten konnten,
Architekten zu beauftragen und solide Baumaterialien einzusetzen, bauten die
obdachlosen Arbeitslosenfamilien aus St. Pauli und Altona mit allen verfügbaren
Materialien, darunter auch Kisten und Sperrholz. Sie konstruierten die Hütten
und Häuser in den meisten Fällen ohne professionelle Hilfe und manchmal
auch ohne Genehmigung der Behörden. Die Kistendörfler
waren überwiegend ehemalige Beschäftigte der Fischindustrie in Altona
gewesen, die günstig an Fischkisten herankommen konnten, aus denen diese
Kistendörfer entstanden. So kam es zu den sprichwörtlich
geworden Fischkistensiedlungen in Lurup und Osdorf, den sogenannten
wilden Laubenkolonien auf der Feldmark. Nordöstlich konzentrierte
sich diese Bautätigkeit im Viermoor bis hinauf zum Friedrichhulder
Weg. Es waren vor allem die Ärmsten der Armen, die damals mit Fischkisten
aus der Fischindustrie Hütten errichteten. Die Fischkisten waren nur wenige
Millimeter dick, fast so wie Sperrholz. Die Gesundheitspolizei ging teilweise
gegen das Lagern von Fischkisten in Altona vor, weil es Beschwerden von Anwohnern
gegen die Geruchsbelästigung gegeben hatte. Man kann sich vorstellen, welchem
Gestank die Menschen ausgesetzt waren, die nur diese Baumaterialien zur Verfügung
hatten. Neben Fischkisten wurden die unterschiedlichsten Materialien wie Seifenkisten
und Eierkisten benutzt, um einigermaßen bewohnbare Räume zu errichten.
Abbruchmaterialien waren die Regel. Die Obdachlosen nutzten jedes Material,
das sie vor Wind und Wetter schützte. Ohne Rücksicht auf Baugesetze
nahmen die Obdachlosen selbst ihr Schicksal in die Hand und siedelten dort,
wo Land frei war. Es gab zahlreiche Orte, an denen sich regelrechte Fischkistensiedlungen
befanden. Zum einen in der Nähe des Wäldchens an der Luruper Hauptstraße,
gegenüber dem heutigen Daliengarten, und in der Nähe der Siedlung
Morgenröthe. Zum anderen in Osdorf Nord, in der Nähe vom Swatten Weg
und in der Siedlung Kiebitzmoor, die damals zu Eidelstedt gehörte. Es gibt
auch Berichte über Fischkistenhütten auf dem Grunde stillgelegter
Kiesgruben in Lurup und Osdorf. Pressefotos aus damaligen Tageszeitungen zeigen
eine erschreckende Armut.
Auch andere ungewöhnliche Wohnmöglichkeiten wurden genutzt. So mancher
konnte einen Bauwagen, einen Straßenbahnwagen oder gar einen Eisenbahnwagen
organisieren und lebte darin, teilweise auf Pachtland, auf dem Gelände
von Kleingartensiedlungen, teilweise aber auch auf Ländereien, die brach
lagen und wild besiedelt werden konnten. Auch meine Großeltern siedelten
zeitweilig auf diese Art und Weise. In einer Akte über Zwangsräumungen
in Altonaer Randgebieten aus dem Jahr 1934 findet sich ein Hinweis auf diese
Siedlungsform:
Vater Werkzeugmacher, insg. 7 Personen, 5 erwachsene Kinder, 2w 3m, erwerbslos,
alter Reichsbahn-Viehwagen, sehr mangelhaft. Abort: Bremshäuschen-Eimer.
Eigene Pumpe. Befund: gesundheitsschädlich. Dieser Reichsbahn- Viehwagen
befand sich in einer Siedlung im Stellinger Moor.
Meine Großeltern, beide arbeitslos und obdachlos, mit einem behinderten
Kind und einem Säugling, siedelten erst in einem mit einem Vorbau versehenen
Straßenbahnwagen, dann in einer aus Abbruchmaterialien selbst erstellten
Hütte in der Eckhoffstraße. Man kann sehen, wie wichtig der Selbstanbau
für die Menschen war. Obst, Gemüse, Geflügel aus dem eigenen
Garten sicherte das Überleben der Familie, das teilweise auf dem Fischmarkt
getauscht oder verkauft werden konnte.
Vielerorts also entstanden die Behelfsheimsiedlungen auf Kleingartengelände.
Arbeiterfamilien, die einen Schrebergarten oder Kleingarten gepachtet hatten,
fühlten sich reich. Viele von ihnen nutzten den Garten als Möglichkeit,
der drohenden Obdachlosigkeit zu entkommen und sich durch den Anbau von Obst
und Gemüse über Wasser zu halten. Das Dauerwohnen war
baupolizeilich und von den Pachtverträgen der Laubenkolonien her ausdrücklich
untersagt. Teilweise versuchten die Bewohner sich gegen diese Anordnungen zu
wehren. So kam es bereits 1918 zu Protesten von Laubenbewohnern gegen Zwangsräumungen.
Doch das Dauerwohnen war und blieb illegal und wurde von den Behörden
in der Weimarer Zeit bestenfalls geduldet. Die Vereine waren angehalten, gegen
das Dauerwohnen vorzugehen, aber nur wenige kamen dem nach. Die
Hamburger Polizeibehörden verhielten sich eher zurückhaltend, vor
allem die Wohnungsbehörde, die zuständig für eine Zuweisung von
Wohnraum an die obdachlosen Familien gewesen wäre, hatte ein Interesse
an einer stillschweigenden Duldung.
Ebenfalls heftig diskutiert wurde die Frage, ob die Haltung von Vieh in den
Kleingartenkolonien erlaubt sein solle. Auch hier drückten die Behörden
größtenteils wohlwollend beide Auge zu. Kaninchen und Hühner
durften gehalten werden, solange die Tiere artgerecht gehalten und die Nachbargärten
nicht gestört wurden. Das Halten von Schweinen und Ziegen wurde im allgemein
untersagt. Das änderte jedoch nichts daran, dass einige Kleingärtner
auch ein Schwein oder eine Ziege ihr Eigen nannten.
In vielen Kolonien entstand eine Solidargemeinschaft, die Siedler standen füreinander
ein, es gab Gemeinschaftskassen, und soweit es der Gemeinschaft möglich
war, wurde aus diesen Unterstützungskassen auch die Pacht zahlungsunfähiger
Genossen bestritten. Viele Siedlungen boten den Kleingärtnern spezielle
Versicherungen an, es gab zahlreiche Gemeinschaftsaktivitäten, und in den
Vereinshäusern wurden Kurse vor allem über Obst- und Gemüseanbau
und Kleintierhaltung angeboten.
Im Jahrbuch 1933 des Landesverbandes Groß-Hamburg e.V. der Kleingartenvereine
Deutschlands werden als Kleingärten des Bezirksverbandes Pinneberg beispielsweise
die Kleingartenkolonie Hüttenbesitzer von 1912 e.V. in der Nähe des
Bahnhofes Eidelstedt, genannt, die Laubenkolonien Morgenpacht im
Stellinger Moor und am Bollweg in Eidelstedt.
Über das Leben in diesen Kolonien eine ehemalige Bewohnerin der Siedlung
Kleinworth, einem Kleingartenverein am Rugenbarg, in einem Interview zusammen
mit ihrem Sohn. Gemeinsam mit ihrem Mann baute sie sich in der Siedlung
Kleinworth eine Bude, die bis in die Kriegsjahre hinein zusammen mit den beiden
kleinen Söhnen bewohnt wurde.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich auf die Lebensbeschreibungen Elfriede
Bornholdts hinweisen, die über das Leben der Siedlung Kiebitzmoor zwei
Bücher geschrieben hat, das Buch Hör Mal! ist in der Museumsbibliothek
des Museums der Arbeit in Barmbek am Wiesendamm erhältlich und das Buch
Nur ein Mädchen in jedem Buchladen.
In vielen Fällen konnten sich wilden Siedlungen ohne Genehmigung
der Baubehörde ausbreiten, womit beispielsweise der Gewässerschutz
nicht mehr gewährleistet werden konnte. Viele Siedler und Kleingärtner
bohrten eigenhändig Brunnen und entsorgten ihre Abwässer in selbst
erbauten Jauchegruben. Vor allem der Stadtentwicklungsbehörde waren sie
ein Dorn im Auge. Andererseits war die Not der Massen an Arbeitslosen nicht
zu übersehen. So stießen Reformideen, die Selbsthilfe der Menschen
zu unterstützen und ihnen kontrolliert von der Stadt das Siedeln zu ermöglichen,
auch bei der Baubehörde auf offene Ohren. Alternativen zu den wilden Siedlungen
in den Kistendörfern und dem Dauerwohnen in Kleingärten wurden entwickelt.
Stadtrandsiedlungen als Alternative zum Dauerwohnen in Schrebergärten wurden
mit staatlichen Mitteln unterstützt. Eine Notverordnung aus dem Jahr 1931
bestimmte eine Förderung vorstädtischer Kleinsiedlungen für Erwerbslose.
Darlehen bei einer 4% Verzinsung, teilweise auch mit niedrigerem Zinssatz, sollten
den Grunderwerb von Erwerbslosen fördern. Damit wurden nicht nur in Altona
und Hamburg Vorstadtsiedlungen ermöglicht. Den Siedlungsverein Eigenheim
Eidelstedt, der zinsgünstige Kredite bekam, hab ich eingangs bereits
erwähnt. Er war aus einer Kleingartensiedlung hervorgegangen. Gemäß
der Satzung aus dem Jahr 1920 war
Der Zweck des Vereins ausschließlich, minderbemittelten Familien
gesunde und zweckmäßige Kleinwohnungen im Sinne des Gesetztes in
eigenen Gartenhäusern zu billigen Preisen zu verschaffen, sowie Förderung
und Unterstützung des Gartenbaues auf Eigenland.
Die Siedler bekamen von der Gemeindeverwaltung Eidelstedt, das damals zum Kreis
Pinneberg gehörte, ein Landesdarlehen in Höhe von 57 488 RM, davon
1/6 als zinsloses Darlehen für eine Fläche von 325,20 qm am Halstenbeker
Weg. Auch andere Siedlervereine wie die Gemeinnützige Baugenossenschaft
Siedlungskolonie Eidelstedt GmbH versuchten um diese Zeit, mithilfe
von Reichsdarlehen Siedlungen zu errichten.
Ein Beispiel für Siedlungen, die sich der Genossenschaftsidee verpflichtet
fühlten, sind die Siedlergemeinschaften Uns Oldeel und Elbkamp. Die Siedlungsgemeinschaft
Uns Oldeel wurde am 3. August 1919 gegründet, von Arbeitern
und Angestellten der Stadt Altona. Der Grundeigentümer Henry Kleinworth
stellte eine Roggenstoppelkoppel zur Verfügung, die im Süden von der
Carlstraße (dem heutigen Böttcherkamp) begrenzt wurde. Der Kaufpreis
betrug damals durchschnittlich 1,20 M. Den Bau besorgten die Siedler selber:
In einer Chronik schreibt der Mitbegründer Barenschee: Alle Mitglieder
samt Familien halfen mit, jede freie Zeit, auch sonntags, nicht nur das Straßenbett
auszuheben, sondern auch Steine, Geröll Schlacke usw. heranzuholen. Wir
grasten mit Pferdefuhrwerken die ganze Umgebung ab, sogar mit Block- und Kinderwagen.
So entstanden die Straßenzüge um die Siedlung an der heutigen Kleinwörthshöh.
Schwierig war es für den Bauverein, trotz Inflation und Währungsreform
die nötigen Baugelder zu organisieren, aber alle Bauvorhaben wurden realisiert.
Herr Barenschee in seiner Chronik: Allmählich wurde man auf uns aufmerksam.
Es kamen jetzt öfter Sehleute und keiner schüttelte mehr
den Kopf, sondern man nahm Einsicht in unser vorbildliches Vereinsstatut. Wir
fanden Nachahmer in Lurup und es entstanden schon bald weitere Siedlungen.
Dazu gehörte die Siedlungsgemeinschaft Elbkamp, die von einer
Arbeitsloseninitiative in Altona gegründet und vom sozialdemokratischen
Altonaer Bürgermeister Max Brauer unterstützt worden war. Mit günstigen
Krediten und Immobilien sollte den Arbeitslosen Vermögensbildung und ein
Stück wirtschaftliche Unabhängigkeit ermöglicht werden. Voraussetzung
für eine solche sogenannte Siedlerstelle war, dass die Siedlerfamilie mindestens
ein Kind hatte und mehr als drei Jahre in Altona ansässig gewesen war.
Die Männer bauten selbst, in gegenseitiger Unterstützung, ohne andere
technische Hilfsmittel als zwei Zugpferde, gemietete Schienen und eine altersschwache
Lore. Dabei waren unter den 102 Siedlern lediglich 32 mit einer Ausbildung als
Handwerker. 1932 wurden die 88 Doppelhäuser von den Siedlern in Selbsthilfe
fertig gestellt, zusätzliche Mittel waren nicht benötigt worden. Zu
jeder Siedlerstelle gehörten ca. 750qm Land, womit eine bescheidene landwirtschaftliche
Produktion zur Selbstversorgung möglich war. Die Häuser existieren
heute noch, natürlich sehr verändert, zwischen Lüttkamp und Farnhornweg.
Viele der Siedler, sei es in den Behelfsheimen, den Kleingärten oder
Baugenossenschaften, fühlten sich der damaligen Arbeiterbewegung zugehörig,
viele waren Sozialdemokraten und Kommunisten. Nach der Machtübernahme der
Nationalsozialisten wurde Schritt für Schritt das Zusammenleben von dem
nationalsozialistischen Apparat überschattet. Arbeitslose waren für
die nationalsozialistische Ideologie arbeitsscheue Volksgenossen.
Kampagnen gegen Arbeitslose und gegen Bettler gehörten zu den ersten nach
der Machtübernahme. Das wirkte sich auch auf die Arbeitslosensiedlungen
in Lurup aus. Viele Menschen aus den Arbeitersiedlungen der Vorstädte,
auch aus Eidelstedt und Lurup, galten nach dem nationalsozialistischen Menschenbild
als asozial. Strukturelle, von Behördenwillkür ausgeübte
Schikane, und gewalttätige Übergriffe von SA und SS auf wehrlose Siedlerfamilien
gingen Hand in Hand. Die Nationalsozialisten förderten gezielt den Zuzug
von Menschen, die sie als systemfreundlich einstuften. Für die Siedlerstellen,
die nach 1933 geschaffen wurden, wurden Familien ausgewählt, die arisch,
streng nationalsozialistisch, frei von Erbkrankheiten und auf keinen Fall asozial
galten. Zu diesem Zwecke mussten Fragebögen ausgefüllt werden, es
wurden alle verfügbaren relevanten Daten von den entsprechenden Behörden
erhoben. Ein Luruper erinnert, dass seine Schwiegermutter als alte Frau erzählte,
wie sie als hochschwangere junge Frau vor dem Amtsarzt Kniebeugen machen musste,
um ihre Erbgesundheit nachzuweisen. Erst danach bekam die Familie die Siedlerstelle
zugewiesen. Teilweise gibt es Hinweise auf kreative Formen im Umgang mit kommunalen
Geldnöten. Die Eidelstedter Siedlung Hembarg e.V., betrieben von einfachen
Gewerbetreibenden, bekam 1934 erst eine Siedlungsgenehmigung, nachdem der Siedlungsverein
sich dazu bereit erklärt hatte, mit 230 Mk pro Familie für die "Schul-
und Kirchenlasten" der Gemeinde Eidelstedt aufzukommen. Die Behörden
versuchten die Entwicklung der Einwohnerstruktur gezielt zu kontrollieren. Alle
zum Verkauf anstehenden landwirtschaftlichen Flächen mussten der Grundstücksverkehrsbekanntmachung
(GVB) zur Verteilung an Umsiedler zur Festigung deutschen
Volkstums gemeldet werden. Diese Form staatlicher Kontrolle galt
jedoch für Moorgebiete nicht. Diese Gebiete waren frei verfügbar.
Hier konnten sich noch in der Kriegszeit Menschen ansiedeln, die nicht mit staatlicher
Unterstützung rechnen konnten. Die vielen Arbeiter, die der Arbeiterbewegung
auch unter dem Faschismus nicht abschworen, wurden Opfer von gewaltsamen Übergriffen.
Im Lüttkamp befand sich ein SA-Heim, von dem aus die Nazis aktiv gegen
politisch Andersdenkende vorgingen. Für die Übertritte warben die
Nationalsozialisten gezielt, teils durch Überredungen, teils durch Androhung
von Schlägen.
Nach 33 da haben sie sich denn die Leute nachts raus geholt, manche auch
am Tage und haben die entsetzlich vertrümmt. Das hab ich selbst als Kind
gesehen, sie haben den Kopf der Leute unter die Pumpe gedrückt und dabei
den Kopf immer mit Wasser vollgepumpt. Hier an der Ecke zur Siedlung Elbkamp
haben sie einen Mann bei Nacht und Nebel rausgeholt und totgeschlagen. Bei uns
wohnte eine Frau N. die wurde weggeholt. Sie soll Frauen geholfen haben das
sie keine Kinder bekamen, also bei Abtreibungen. Die haben sie so vom Wäscheplatz
abgeholt, die durfte sich nicht umziehen, die musste so wie sie war mitkommen,
wurde auf einen Wagen geladen und kam dann nach Lübeck ins KZ.
Manche reagierten darauf mit einer Übernahme der Sichtweise ihrer Aggressoren.
Teilweise gingen die politischen Spaltungen bis hinein in die Familien, es gab
Familien, in denen der Vater Kommunist, die Tochter Nationalsozialistin war,
oder Ehen, in denen die Frau Kommunistin blieb, der Mann aktiver Nationalsozialist
wurde. Die Entsolidarisierung der Arbeiterbewegung führte bei vielen zur
Vereinzelung und Isolierung. Die faschistische Diktatur gab den Individuen zahlreiche
Mittel in die Hand, missliebig gewordene Nachbarn, Freunde oder Verwandte los
zu werden. Noch heute schwärmen einige von den schönen Stunden beim
BDM oder der HJ. Andererseits waren nicht alle Parteimitglieder der N.S.D.A.P.
fanatische Nationalsozialisten. Für viele Kleingewerbetreibende, die nicht
die Grundlagen ihrer Existenz verlieren wollten, viele der zahlreichen kleinen
Krämer und Tante-Emma-Läden schien Opportunismus zunächst die
Existenz zu sichern, und viele von ihnen traten in die Partei ein.
Es kam zu Übergriffen der Nazis auf die Familien, unter anderem zu Hausdurchsuchungen
durch die Gestapo, bei denen die Familienväter im Beisein ihrer Familien
zusammengeschlagen wurden. Mit diesen Maßnahmen bezweckten die Machthaber
die schrittweise Übernahme der Siedlung, mit Erfolg, denn die Siedler fügten
sich, wenn auch unwillig, dem Zwang. In einer Festschrift der Siedlergemeinschaft
aus dem Jahr 1981:
Im Frühjahr des Jahres 1937 wurde die Vereinigung ultimativ aufgefordert,
dass mindestens 12 Siedler in die NSDAP eintreten müssen. Der gesamte Vorstand
hat sich dann, wenn auch schweren Herzens, dazu entschlossen, in die Partei
einzutreten. Die Siedlervereinigung konnte seitens der Siedler nur noch mit
äußerster Vorsicht agieren.
Auch andernorts wurden die Siedler schikaniert. Ein Bericht eines Zeitzeugen
über eine Kleingartenkolonie in der jetzigen Nansenstraße zeigt deutlich
die Strategie der Nazis, die linke Bevölkerung einzuschüchtern.
Um vor den Angriffen der Nazis sicher zu sein, hatten sich die Siedler eine
Art Selbstschutz gebaut: An markanten Punkten der Kolonien wurden Eisenschienen
aufgehängt, die bei Gefahr angeschlagen wurden. Da vor 1933 öfter
gewählt wurde, wussten die Nazis genau Bescheid, wo die linksorientierten
Bürger wohnten (Wahllokale). Bis zum 30. Januar 1933 konnten sich die Bewohner
der Kolonien einigermaßen vor Übergriffen durch die Nazis schützen,
aber schon einige Tage nach der Machtergreifung überfiel die SA die Siedler.
Mit Unterstützung der Hilfspolizei (SA-Männer mit einer Armbinde Hilfspolizei)
wurden die Kolonien abgesperrt. Bei Nacht wurden die Bewohner ins Freie getrieben,
es wurden Sachen herausgeworfen, Wände aufgerissen und einige Heime einfach
angezündet.
Alte Prozessakten belegen zahlreiche Übergriffe und Folterungen auf Siedler,
einige mit Todesfolge. Auszug aus einer Prozessakte, Zeugenaussage:
Im Juli 1933 wurde mein Mann, Wilhelm Meyer, von C. und J. mit vorgehaltener
Pistole gezwungen, unsere Laube zu verlassen, worauf er dann nach Rüpke
geschleppt wurde. Auf dem Wege dorthin und bei Rüpke selbst wurde mein
Mann schwer mißhandelt. Danach wurde ihm befohlen, bei eventueller Nachfrage
auszusagen, er sei angefallen worden. Anschließend wurde mein Mann dann
unter fortwährenden Drohungen fortgejagt. In meiner Angst um meinen Mann
lief ich zur Luruper Polizeiwache, um Schutz zu holen. Der Hauptwachmeister
L., jetzt Polizeileutnant, war zur Zeit bei Rüpke, wie mir seine Frau persönlich
erklärte. Auf dem Rückweg nach Hause fand ich meinen Mann blutüberströmt
im Kornfeld. an den Folgen der Misshandlungen siechte mein Mann dahin, bis er
1937 verstarb.
Trotz dieser Übergriffe ließen sich viele nicht einschüchtern.
Trotz des Verbotes, BBC oder Freies Deutschland zu hören, wurde von vielen
das Recht auf freie Information in Anspruch genommen.
Eine ehemalige Siedlerin: Radio hat jeder für sich gehört, informiert
waren wir alle, die alten Sozialdemokraten wussten alle Bescheid, auch Flugblätter
wurden verteilt.
In einigen Enklaven blieben Werte der Arbeitslosenbewegung wie Solidarität,
Gemeinschaftshilfe und Kameradschaft auch nach der Machtübernahme bestehen
und konnten in die Nachkriegszeit hinübergerettet werden.
Lurup, Eidelstedt und Stellingen bestanden damals in weiten Teilen aus unbebautem,
freiem Gelände, die Wohnungsdichte war relativ gering. Dieses ließ
den Raum aus Sicht der Nationalsozialisten besonders geeignet erscheinen für
die Errichtung von Lagern für Zwangsarbeiter und für ein Konzentrationslager.
Im Friedrichhulder Weg wurden zeitweilig zwei Lager betrieben, ein Lager für
Polinnen und Russinnen, die zur Zwangsarbeit verschleppt worden waren, und das
Lager zeitweilig verlassen durften, und ein durch Wachtürme kontrolliertes
KZ, einem Außenlager des KZ Neuengamme, in dem Jüdinnen unter unmenschlichsten
Bedingungen arbeiten mussten. Außerdem befanden sich ab 1934 im Rondenbarg
und wahrscheinlich auch ab 1939 im Lederweg in der Nähe zum Volkspark Lager
für Sinti und Roma. In der Lederstraße in der Nähe des heutigen
Fußballstadions befand sich nach 1940 eines der größten Lager
für Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen des Hamburger Raumes.
Aus überlieferten Antragslisten für Barackenlager lässt sich
rekonstruieren, dass zahlreiche Barackenlager im Westen Hamburgs bestanden.
Barackenlager benötigte beispielsweise 1942 eine Firma P. in Bahrenfeld,
"Die Baracke soll in der Siedlung Schenefeld untergebracht werden"
In Lurup, Eidelstedt, Stellingen und Osdorf wurden 1942 zahlreiche Grundstücke
für die Einrichtung von Barackenlagern für geeignet gehalten. Grundstücke
die sich für die Aufstellung von Baracken während des Krieges eignen
Lurup Gelände Elbgaustraße am Bahnhof , Weiden Luruper Hauptstraße
Lüttkamp, Osdorf Gelände an der Osdorfer Landstraße, Stellingen
Sportplatz Kaiser Friedrich Straße, Sportplatzring Stellinger Weiden hinter
Hagenbecks Tierpark Grundstück Vereinsbank Reichsbahnstraße, Sportplatz
hinter Feuerwache Eidelstedt
In Baracken im Friedrichshulder Weg wurden ab
1939 polnische Frauen und Kinder, aber auch ältere Männer, die aus
ihrer Heimat verschleppt wurden, zur Zwangsarbeit getrieben. Für die Anwohner
war es verboten, mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Frau Littmann vom Hamburger
Archiv für Zeitgeschichte hat folgende Daten recherchiert: Es befanden
sich etwa 800 Personen im Lager, davon waren ca. 75% Russen und 25% Polen. Besitzer
war die Reichsbahn, es war ein Wohnbarackenlager für ausländische
Pflichtarbeiter. Der Lagerführer war ein Herr Aschenbrenner. Das Lager
war der Bahnmeisterei Eidelstedt zugeordnet. Es befanden sich auf dem Lagergelände
2 Steinbaracken und 6 Holzbaracken, umgeben war es von einem einfachen, 1 m
hohem Zaun, die Eingangswache besetzten Eisenbahnbedienstete, es musste Wechselschichtarbeit
geleistet werden. Das Gemeinschaftslager hatte eine eigene Küche, es wurden
330 Essensteilnehmer verzeichnet, d.h. ca. 470 Personen wurden in dieser Küche
nicht beköstigt. Im Ostarbeiterlager der Bahnmeisterei Eidelstedt 1944
waren 4 tote Männer und 2 nicht näher bezeichnete Tote registriert
worden.
Über das Schicksal dieser Frauen und Männer ist ausgesprochen wenig
bekannt. Es kann nur vermutet werden, dass sie vergleichbar mit anderen Zwangsarbeiterinnen
harte Lebens- und Arbeitsbedingungen zu bewältigen hatten. Die Zahlenangaben
über die Essensteilnehmer lassen ja Rückschlüsse auf die Ernährungslage
der 440 Lagerinsassen zu, die nicht in der Kantine verköstigt wurden. Dennoch
war dies ein vergleichsweise frei geführtes Lager, der Zaun war lediglich
1 m hoch, und die ArbeiterInnen konnten sich relativ frei bewegen. Da es sich
aber zu einem großen Teil um Russinnen gehandelt hat, kann davon ausgegangen
werden, dass Schikanen an der Tagesordnung waren.
Eine Zeitzeugin berichtet von einer Anwohnerin, Mutter von drei Kindern, die
erwischt wurde, wie sie einem jungen Soldaten etwas zustecken wollte. Es kann
sich bei diesem Soldaten um einen Russen gehandelt haben.
Es war ungefähr 1941, und es war anfangs fast unmöglich, mit
ihnen Kontakt zu bekommen, denn bei Lebensgefahr war es verboten, ihnen etwas
zuzustecken. Und doch haben viele von uns es zumindest versucht bis dann
eine Mutter von drei Kindern dabei erwischt wurde und ins KZ kam. Der junge
Soldat, dem sie helfen wollte, hatte von der Zeit an die Hölle. Als ihm
die Qualen zu groß wurden, nahm er sich das Leben, in dem er sich vor
den Zug warf.
Über ein Lager mit Ukrainern in der Bankstraße in Eidelstedt erinnert
sich ein ehemaliger Anwohner, der damals 8 Jahre alt gewesen war:
am Wiesenweg direkt war ein Sportplatz gewesen, der hatte einen höheren
und einen tieferen Teil, auf dem einen Bereich wurden die Ukrainer und auf dem
anderen die Italiener untergebracht. Die Ukrainer, etwa 30 Personen, durften
frei herumlaufen, das Gelände war eingezäunt mit Stacheldraht, die
haben das aber trotzdem manchmal überwunden, und man konnte sehen, dass
sie sich Lebensmittel organisierten. Diese Menschen stanken nach Lysol, ein
Desinfektionsmittel, heute weiß man dass das hochwertig giftig ist und
das wussten auch wahrscheinlich die Leute damals. Es müssen Ukrainer gewesen
sein, denn mein Vater konnte sich mit ihnen verständigen, und er hatte
in der Ukraine Ukrainisch gelernt. Das waren Kinder, Frauen und ältere
Männer, möglich, dass die Männer für andere Zwecke eingezogen
worden waren, und die liefen relativ frei herum, schnitzten aus den Weiden,
die um den Lagerplatz herum standen, Windmühlen, die für uns als Kinder
natürlich interessant waren, und dafür wollten sie Taschentücher
und Lebensmittel. Bewacht wurden sie von Volksdeutschen, die auch aus Russland
kamen, die haben aber nie eingegriffen, jedenfalls ist uns nichts aufgefallen,
das Lager war auch nicht richtig umzäunt, ganz anders als bei den Italienern.
Dieser Anwohner erinnert auch ein Lager mit italienischen Militärinternierten
in der Nähe der heutigen Bankstraße.
Das Lager war auf einem ehemaligen Eisenbahnersportplatz. Die Italiener waren
eingezäunt und auf Hungerration gesetzt. Ich habe da unglaubliche Szenen
in Erinnerung. Auch mussten Juden vor unserer Tür (Nr. 21) einen Panzergraben
ausheben. Zwangsarbeiter waren in Eidelstedt bei von SS bewachten Arbeiten auf
den Straßen zu sehen.
"Ich erinnere, dass die Italiener die Abwässer aus ihrer eigenen
Baracke - das war ne größere Baracke - auffingen in Töpfen oder
Helm und darin dann die Brennnesseln, die auf dem Grundstück wuchsen, gekocht
haben. Die bettelten nicht um so was wie Taschentücher wie die Zwangsarbeiter
aus der Ukraine,sondern die wollten Brot haben und was zu essen, das heißt,
die müssen gehungert haben, die müssen gehungert und gedurstet haben.
Es kann vermutet werden, das italienische Militärinternierte
auch in Luruper und Eidelstedter rüstungsrelevanten Betrieben Zwangsarbeit
leisten mussten. Mit dem Argument der steigenden Einwohnerzahl der Randgemeinden
begann ab 1938 ein verstärkter systematischer Ausbau der Infrastruktur
Lurups, bei dem auch Kriegsgefangene eingesetzt wurden.
Nach den Luftangriffen auf Hamburg 1943 wurden viele durch die Zerstörungen
obdachlos gewordene Hamburger an die Außenrandgebiete der Stadt evakuiert.
Viele der Ausgebombten kamen bei Verwandten unter, in Kleingartenvereinen, in
Behelfsheimen. Die Nationalsozialisten begannen nach den Großangriffen
auf Hamburg im Kleiberweg und im Friedrichhulder Weg Unterkünfte aus fertigen
Zementplatten bauen zu lassen, sogenannte Plattenbauten, die ausgewählten
ausgebombten Familien zur Verfügung gestellt wurden. In einer Anordnung
einer dieser Sondermaßnahmen heißt es: Die Einweisung der
Bombengeschädigten in die Wohnungen erfolgt in der Reihenfolge der Dringlichkeit;
Angestellte und Arbeiter der Rüstungsindustrie gehen vor.Diese Maßnahmen
reihten sich ein in zahlreiche Fördermaßnahmen zugunsten der Bauindustrie
nach den Bombenangriffen durch die Alliierten, den aus Sicht des Reichsministers
für Bewaffnung und Munition Speer und des Reichskommissars für den
sozialen Wohnungsbaus, Dr. Ley, völkerrechtswidrigen Terrorangriffen
der feindlichen Luftwaffe. Der Reichskommissar für den sozialen Wohnungsbau
hatte Sondermaßnahmen zur Schaffung von Behelfsunterkünften für
Bombengeschädigte erlassen, für eine schlagkräftige Durchführung
sollten die Gemeinden die Bauhilfe, Gemeinnütziges Organ der Deutschen
Arbeitsfront Bauhöfe auf geeigneten Freiflächen
errichten lassen. Die Bauhilfe vergab weitere Aufträge an Bauunternehmen.
Vor allem in den Randgemeinden Hamburgs wurden Leybuden errichtet,
nach Dr. Ley benannte Fertigbauhäuser. 1944 wurden von der Gemeinnützigen
Baugenossenschaft und der neuen Heimat im - Zitat aus einer Akte - Gau
Hamburg in Osdorf, Eidelstedt und Lurup ca. 1250 Behelfswohnungen
errichtet, so am Wischofsweg und am Osdorfer Weg.
Aus den noch erhaltenen NS-Akten geht hervor, dass aufgrund des Arbeitskräftemangels
1944 von den Kreisverwaltungen und Ortsämtern Bevölkerungsgruppen
dienstverpflichtet wurden, die als Arbeitsunfähige schon vor langer Zeit
aus dem Erwerbsleben ausgeschieden waren. So war es gemäß dem nationalsozialistischen
Menschenbild auch folgerichtig, dass Zwangsarbeiter, KZ-Häftlinge und Militärinternierte
diese Bauten errichten mussten. In Lurup im Kleiberweg wurden Plattenbauten
von Frauen aus dem Konzentrationslager am Friedrichhulder Weg, einem Außenlager
des KZs Neuengamme, und von italienischen, möglicherweise auch französischen
Militärinternierten unter unmenschlich grausamen Bedingungen erstellt.
Eingesetzt wurden diese Menschen wahrscheinlich von dem Unternehmen Johann H.
Johns, Kom. Ges., einem Tiefbau- und Straßenbauunternehmen, das seinen
Sitz etwa dort hatte, wo sich heute das Schwimmbad an der Elbgaustraße
befindet. Die damalige Adresse des Hauptsitzes des Unternehmens befand sich
An der Alster 42. Das Unternehmen existiert heute nicht mehr.
Zu den wenigen Überlebenden des Eidelstedter Außenlagers des KZ Neuengamme
gehören die Schwestern Livi und Hedi Fried. Hedi Fried, die heute u.a.
als Therapeutin in einem Zentrum für Überlebende des Holocaust in
Stockholm arbeitet, hat in ihrem Buch Nachschlag für eine Gestorbene.
Ein Leben bis Auschwitz und ein Leben danach auch ihre traumatischen Lebenserinnerungen
an Eidelstedt beschrieben. Hier ein kurzer Ausschnitt aus ihrem Buch über
den Tod einer damals etwa 20jährigen Freundin, die im Lager Eidelstedt
mit einer Walze, die selbst Männer nur mit Müh hätten bewegen
können, Bauarbeiten ausführen musste: Als die Dämmerung
hereinbrach, sah ich eine Gruppe von Geistern sich im Hof abquälen, und
als endlich das Signal gepfiffen wurde, mit der Arbeit aufzuhören, brach
Vera vor ihrer Walze zusammen. Ich rannte hinaus, um ihr zu helfen. Sie war
ohnmächtig geworden. Ich holte Wasser und benetzte ihre Schläfen.
Als sie wieder zu sich kam sagte sie: Ich möchte lieber sterben als
noch einen Sonntag wie diesen zu erleben. Es war das erste Mal, dass ich
sie so sprechen hörte. Vera, die immer an die Zukunft dachte, die immer
optimistisch gewesen war. Ihr Gebet wurde erhört. Bis zum folgenden Sonntag
war sie tot. Als das Kriegsende sich abzuzeichnen begann, wurden Hedi
und Livi Fried in einem Viehwaggon in das Vernichtungslager Bergen Belsen gebracht
und konnten dort von den Alliierten befreit werden.
Die Verbrechen der Nationalsozialisten wurden auch in Lurup und Eidelstedt in
den Jahrzehnten nach 1945 nur schleppend aufgearbeitet, nicht wenige Täter
entgingen der Justiz, auch unter Mithilfe von Nachbarn und Freunden. Aber zahlreiche
Initiativen in den Schulen und Kirchengemeinden widmeten sich trotz nachbarschaftlicher
und familiärer Feindseligkeiten der Erforschung der NS-Geschichte. Die
Existenz des Außenlagers des KZ Neuengamme war fast vierzig Jahre lang
verdrängt und vergessen worden. Erst Ende der siebziger Jahre beschäftigten
sich die in der Nähe des früheren Außenlagers liegenden Kirchengemeinden
zum ersten Mal mit diesem Lager. Eine Versammlung von Neofaschisten im Februar
1978 und das bereits eingeleitete Ermittlungsverfahren gegen den ehemaligen
Lagerleiter Walter Kümmel veranlasste die Emmaus-Kirchengemeinde, gemeinsam
mit der Auferstehungskirchengemeinde, beide ansässig in Hamburg-Lurup,
einen Arbeitskreis gegen Neofaschismus zu gründen und mit Hilfe einer Broschüre
die nationalsozialistische Vergangenheit des Stadtteils der Öffentlichkeit
bewusst zu machen. 1985 wurde von der Gesamtschule Glückstädter Weg,
heute Geschwister-Scholl-Gesamtschule, ein Gedenkstein am Rande des ehemaligen
Lagergeländes errichtet mit der Aufschrift:. Wir gedenken der Mädchen
und Frauen, die hier im KZ Eidelstedt unter dem Terror der Nazis
litten. Zahlreiche Initiativen an den Schulen, der Universität und
in Friedensgruppen haben sich seitdem für eine Aufarbeitung der nationalsozialistischen
Vergangenheit in Lurup, Stellingen und Eidelstedt stark gemacht. Bleibt zu hoffen,
dass es nicht nur in Lurup und Eidelstedt nie wieder modern wird, gewaltverherrlichende
Ideologen an die Macht zu lassen.
Falls Sie sich für Quellenangaben und Literaturhinweise interessieren,
senden Sie bitte eine Mail an lurup@gmx.de.
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