© Anke Schulz

Allgemeines zur Geschichte Lurups Lurup und seine Bevölkerung ab 1925

Der Luruper Raum zwischen Altona und Hamburg

Lurup war vor der Zuwanderung vieler verarmter Arbeiterfamilien aus dem innerstädtischen Bereich während der Zeit der Massenarbeitslosigkeit ein Straßendorf gewesen, die Bevölkerung bestand vor allem aus Bauern und Landarbeiterfamilien. Den Bauernfamilien gehörte ein großer Teil der Ländereien. Mit Reet gedeckte Bauernhäuser zierten die Dorfstrassen. Bis 1927 unterstand das Dorf einem Vogt, nach dem der heutige Eckhoff-Platz benannt ist, und gehörte zum Kreis Pinneberg in Schleswig Holstein. 1927 wurde Lurup im Rahmen des Eingemeindungsabkommens an Altona angegliedert. Damit gelangte Lurup bis 1933 in den Einflussbereich der sozialdemokratischen Politik des Altonaer Bürgermeisters Max Brauer. 1937 wiederum wurde Altona im Rahmen des Groß-Hamburg-Gesetztes zu Hamburg eingemeindet, und Lurup wurde somit Hamburger Stadtteil. Damit Straßennamen in Groß-Hamburg nicht doppelt vorkamen, mussten viele Straßen auch in Lurup umbenannt werden, so hieß die Eckhofstraße nun Jevenstedterstraße, die Damaschkestraße wurde in Farnhornweg umgetauft.

 

 

© Foto: Barenschee

Viele schöne Fotos nicht nur von Lurup finden Sie auch beim Hamburger Bildarchiv von Jens Wunderlich: http://hamburg-bildarchiv.de/index.php


Die Luruper Haupstraße


Lurup war ein Straßendorf, und so möchten wir Sie zunächst auf einen kleinen Spaziergang mitnehmen entlang der alten Luruper Hauptstraße, die viel über die Geschichte dieses Stadtteils verrät. So dem äußeren Anschein nach, mit den alten mit Reet gedeckten Bauernhäusern, muss Lurup ein schönes Dorf gewesen sein. Die Luruper Hauptstraße war eine Allee, von Platanen, Linden und Eichen umsäumt, oder, wie es ein alter Luruper formulierte, der Zeit seines Lebens an dieser Straße gewohnt hat: „im Sommer erstreckten sich die Alleebäume wie ein Tunnel aus Grün über die Straße". Noch heute zeugt die alte Schule an der Luruper Hauptstraße, in der sich auch die Redaktion der Luruper Nachrichten befindet, von der Schönheit der alten Luruper Bauernhäuser.

 

Leider sind die meisten Bauernhäuser entweder den Bomben des 2. Weltkrieges oder in der Nachkriegszeit den Bebauungsplänen zum Opfer gefallen. Die Straße war mit Basaltsteinen gepflastert, schön anzusehen, aber auch gefährlich. Früh schon zeigten sich erste Verkehrsprobleme, so in der Luruper Hauptstraße: „vor allem wenn Fahrzeuge Öl verloren hatten, dann war es sehr rutschig, Gehwege, so wie heute, gab es nicht." Der Verkehr auf den Straßen wurde bestimmt durch den Kiesabbau, der bis in die 40er Jahre hinein betrieben wurde. So fuhren auf den Strassen viele „Grandkutschen", also Fuhrwerke, die Kies aus den Kiesgruben geladen hatten. Der Transport wurde überwiegend mit Pferd und Wagen vorgenommen, Autos fuhren selten.

© Foto: Barenschee

 

Lurups Umwelt 


Gehen wir weiter auf unserem kleinen Spaziergang durch das alte Lurup, sehen wir neben Weiden und Kornfeldern Moorgebiete, viele kleine Tümpel, Sand- und Ödflächen. Weite Gebiete Lurups und angrenzenden Regionen wie Osdorf und Stellingen waren in den 20er Jahren Feuchtbiotope und Heidelandschaft.   Ab 1926 wurden Moorgebiete wie das Stellinger Moor Schritt für Schritt trockengelegt, um Raum für Besiedlung und Industrieansiedlung zu schaffen. Hinzu kam, dass der Luruper Raum auch für den industriellen Abbau seiner Kiesvorkommen interessant wurde.  In den 40er Jahren gab es außerordentlich viele Kiesgruben in Lurup, Osdorf und Flottbek. Namen wie ‚Grandkuhlenweg’ und ‚Grubenstieg’ erinnern noch heute an diese Zeit. Am Engelsbrechtweg an der Grenze zu Osdorf wurde der Kies von einem Hartsteinwerk vor Ort zu Ziegeln verarbeitet. In den stillgelegten Gruben wurde teilweise Müll, auch Industriemüll, entsorgt.  

Siedlungen in Lurup  
  
Ab ca. 1925 wurden die Grundsteine für viele Siedlungen gelegt, die immer noch Teile des Straßenbildes Lurups prägen. Zahlreiche alte Einfamilienhäuser stammen aus dieser Zeit. Auch Familien des Kleinbürgertums und des Mittelstandes, unter ihnen viele Handwerksmeister und leitende Angestellte, litten in den Jahren der  Wirtschaftskrise unter der Not und begannen unter einfachsten Mitteln in Lurup zu siedeln, beispielsweise in der Siedlung Kleinworthshöh. Auch dort wurden die Häuser von den Männern selbst gebaut, wurde Gemüse angebaut und Kleinvieh gehalten, und die Nachbarschaftshilfe spielte wie überall in den Siedlungen eine große Rolle. Während sich die Siedler des Mittelstandes jedoch leisten konnten, Architekten zu beauftragen und solide Baumaterialien einzusetzen, bauten die obdachlosen Arbeiterfamilien mit Materialien wie Fischkisten und Sperrholz und konstruierten die Hütten und Häuser in vielen Fällen ohne professionelle Hilfe. Manche wohnten auch in Bauwagen und Straßenbahnwagen.

Kindheit in Lurup

Viele der alten Luruperinnen und Luruper, die ich interviewt habe, waren damals Kinder oder Jugendliche gewesen, und so beschreiben sie den Luruper Raum der 20er und 30er Jahre vor allem aus Kindersicht. Ihre Kindheitserinnerungen zeigen das alte Lurup auch als ein schönes Spielland ganz ohne Autos mit vielen Entfaltungsmöglichkeiten für Sinne und Neugierde. Mag sein, dass da rückblickende Idealisierung mitschwingt, aber wenn man sich vor Augen hält, dass heute auch in Lurup Kinder und Jugendliche zunehmend mit der Versiegelung von Freiflächen und der alltäglichen Lebensgefahr durch das Auto konfrontiert werden, kann man sich schon vorstellen, dass es für die Kinder und Jugendlichen in den 20er und 30er Jahren toll gewesen sein muss, viel Wildnis zum Spielen vorzufinden, auf Spielstraßen, auf denen praktisch keine Autos fuhren, über Pfützen zu hüpfen, Kibbel Kabbel oder Trudelreifen zu spielen und in den Kiesgruben Spielhäuser, Sandburgen und Fantasieradioapparate aus alten Blechteilen zu bauen. Nicht nur die Jungs badeten in den Moorlöchern und fingen Frösche und Stichlinge oder spielten im Wäldchen Schlagball. Wahrscheinlich haben die Erwachsenen damals diese Situation völlig anders bewertet, immer wieder kam es zu Unfällen, vor allem in den Kiesgruben, in denen Kinder durch Hangrutsch oder durch Industriemüll wie Blechemballagen und Glasscherben lebensgefährlich verletzt wurden.

Fast alle alten Luruper haben die Volksschule Luruper Hauptstraße besucht. Bis 1929 befand sich das Schulgebäude in dem schönen alten Bauernhaus an der Luruper Haupstraße Nr. 132, dann wurden die ersten Schulgebäude auf dem heutigen Schulgelände errichtet. Die Lehrer konnten in dem eigens für diesen Zweck errichteten Lehrerhaus an der Luruper Hauptstraße wohnen, das in den 30er Jahren zur Polizeistation umgewandelt wurde. 1930 wurde der Hauptlehrer Hilker zum Rektor gewählt. Das war nur möglich, weil in der Altonaer Mädchenschule durch Einsparungen eine Rektorenstelle frei wurde, die nach Lurup verlegt werden konnte. Bis 1933 gab es auch in der Luruper Volksschule Ethikunterricht, der von 16 Knaben und Mädchen in Anspruch genommen und von dem Lehrer Schwettscher unterrichtet wurde. Zum Lehrplan gehörten die großen Weltreligionen wie Islam und Judentum, aber auch die Vermittlung wissenschaftlicher Weltbilder, über den Völkerbund und Tier- und Pflanzenschutz. Der Ethikunterricht war in der Lehrerschaft sehr umstritten. Die Schule war Mitorganisatorin von Kinderfesten wie dem ‚Kindergrün', im Sommer veranstaltete Kinderumzüge, auf denen die Kinder mit geschmückten Wagen von Lurup bis Schenefeld zogen. Leider wurde diese Tradition in den 50er Jahren nicht weiter fortgeführt.

© Foto: Barenschee

Schulumzug 1953, © Foto: Kerstien Matondang Blumencorso, © Foto: Uwe Scheer


Die Volksschule Luruper Hauptstraße hatte 1933 vier Schulbaracken und insgesamt sechs Klassenräume, die ca. 54 qm groß waren. Bei 533 Schülerinnen und Schülern betrug die durchschnittliche Schülerzahl pro Klasse 50 Kinder. Die Klassenräume wurden mit Kohleöfen beheizt, die Fenster waren teilweise undicht. Für zusätzliche Bauten und Reparaturen war kein Geld vorhanden. Im Sommer konnten sich mehrere Klassen einen Klassenraum teilen, indem sie abwechselnd nach draußen zum Sportunterricht gingen. Im Winter konnte es passieren, dass eine Klasse wegen Raumnot nach Hause geschickt werden musste. Die Lehrerschaft versuchte in mehreren Anträgen auf eine Schulerweiterung durch die Altonaer Schulbehörde hinzuwirken. Die Anträge wurden anfangs zurückwiesen, weil die veranschlagten Kosten zu hoch seien. "Um die Kosten für den unumgänglich notwendigen Schulerweiterungsbau zu verringern, ist der Grundriß auf das kleinstmögliche Maß zurückgezeichnet worden." "Für die innere Ausstattung sind die denkbar einfachsten Ausführungen geplant. Neue Schulbänke und Lehrerpodien brauchen nicht beschafft zu werden, da beim Schulamt noch alte Bestände vorhanden sind. Durch all diese Maßnahmen stellt sich dieser Anbau nicht teurer als eine Döcker-Baracke dar." Das beantragte Bauvorhaben wurde Mai 1934 mithilfe von Arbeitsbeschaffungsprogrammen durchgeführt.

Der Unterricht fand bis 1929 teilweise noch für mehrere Jahrgänge in einer Klasse statt, Jungen und Mädchen saßen getrennt. Die Lehrer waren teilweise sehr streng, allgemein war die Prügelstrafe üblich. Einige der Lehrer gehörten dem Stahlhelm an. Die einzige Lehrerin im Kollegium wurde mit ‚Fräulein' angeredet, war tatsächlich unverheiratet, denn eine Frau, die arbeitete, durfte nach damaligem Arbeitsrecht nicht verheiratet sein, musste sich entscheiden zwischen Karriere oder Familie. Am 12. September 1925 bekam sie ihre feste Stelle in Lurup. Einige Lehrer waren sehr engagiert. So gaben musikalisch begabte Lehrer den Kindern aus den Arbeiterfamilien auch Unterricht im Spielen von Waldzither, böhmischer Zither und Geige. In der Schule Altona-Osdorf stellte ein Lehrer sogar einen Teil seines eigenen Gartens als Schulgarten zur Verfügung. 1937 wurden für lernschwache Schüler zwei Hilfsschulklassen in der Hauptschule Luruper Hauptstraße eingerichtet. "Das stete anwachsen der Zahl der geistig minderwertigen bezw. schwachbegabten Schüler macht es nötig, ... eine zweite Hilfsschulklasse einzurichten." Möglich, dass unter ihnen auch Kinder von Lurupern waren, die als A-Soziale oder als ‚Zigeuner' von den NS-Behörden verfolgt wurden.
Der Jugend in Lurup standen nicht viele Freizeitmöglichkeiten offen. Wer tanzen gehen wollte, musste weite Wege zurücklegen, und das zu Fuß, denn Verkehrsmittel konnte sich kaum ein Jugendlicher leisten. In einer Broschüre des Amtes für Jugendpflege und Sport der Stadt Altona wurden 1930 den Schulabgängern Luruper und Osdorfer Vereine empfohlen wie der evangelische Jungmädchenbund Born, die nationale Jugend, darunter die Jungdeutsche Ordensjugend, die Freischar junge Nation, die Marine-Jugend Vaterland, und zahlreiche schlagende Verbindungen, neben Pfadfindern, Baptisten, Reichsbanner, Stahlhelm und Wehrlogen waren aber auch die Gewerkschaftsjugend, die sozialistische Arbeiterjugend und die Naturfreundejugend dabei.

Schule Luruper Hauptstraße  

Schule Luruper Haupstraße, Einschulung 1953

mit einem herzlichen Dankeschön an Kerstien Matondang aus Schweden, siehe auch die private Website

http://www.meinhamburgonline.net.tf/

© Foto: Kerstien Matondang

1955
Schule Swatten Weg, 1953 © Fotos: Kerstien Matondang
   
Die Schule Swatten Weg wurde 1952 gegründet.

 

Ausflugsort und Tanzlokale


Der ländliche Charakter Lurups förderte die Ansiedlung einiger Ausflugslokale für die Städter, vor allem an der Luruper Hauptstraße und in der Nähe der Stadionstrasse. Die Luruper selbst besuchten vor allem die Gaststätten Eberhard und Röpke an der Luruper Haupstraße, wenn sie tanzen gehen wollten.

 

© Fotos: Mayer

 

Andere Tanzlokale gab es in der näheren Umgebung nicht, erst wieder in Flottbek und Pinneberg konnten die Luruper, unter ihnen vor allem natürlich die Jugendlichen, die mal etwas anderes erleben wollten, tanzen gehen. Erst während des Krieges wurde das Union-Theater eröffnet, damals in den Räumen der Gaststätte Röpke, aus dem später das Luruper Fama-Kino hervorging. Viele versuchten sich während der Kriegszeit mit den Filmen, die dort gezeigt wurden, über die harte Kriegsrealität hinwegzutrösten. Die Bedeutung Lurups als Ausflugsort für die Städter aus Altona und St. Pauli stieg natürlich durch die Anlage des Altonaer Volksparks und des Altonaer Friedhofs ab 1918 und den Bau des Volksparkstadions. Das Volksparkstadion war 1925 gegründet worden, und bereits 1926 fanden dort die ersten Fußballmeisterschaften statt. 1927 wurde das Schwimmstadion von der Stadt Altona im Volkspark eröffnet, bis zur Stillegung für den Bau der AOL - Arena ein wichtiges Freizeitangebot für die Anwohner.

© Foto: Barenschee


Unter den Anhängern damaliger Reformbewegungen besonders beliebt war ein Licht- und Luftbad im Altonaer Volkspark, das unter der Aufsicht der Arbeiterwohlfahrt im Volkspark der Allgemeinheit offen stand. Immer wieder von Zeitzeugen liebevoll erwähnt wird das meines Wissens bis Kriegsende bestehende einzige größere freie Waldstück Lurups. Wahrscheinlich auch forstwirtschaftlich genutzt, gab es gegenüber dem Volkspark "das Wäldchen", etwa dort, wo heute das Firmengelände von Reemtsma an der Luruper Hauptstraße liegt. Für die Kinder und Jugendlichen hatte dieses Wäldchen vielleicht die Bedeutung eines Abenteuerspielplatzes gehabt, in dem sie ungestört von den Erwachsenen herumtollen konnten.

 

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