© von Anke Schulz
Zwischen Grandkuhlen und Müllhalden
Eine kleine Exkursion durch 100 Jahre Umweltgeschichte der Hamburger Stadtteile
Lurup, Stellingen und Osdorf
Weite Gebiete Lurups und angrenzenden Regionen wie Osdorf und Stellingen waren
in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts Feuchtbiotope und Heidelandschaft. Geeignete
Ländereien wurden landwirtschaftlich genutzt, vor allem für Getreideanbau
und Viehzucht. Ende der 30er Jahre befanden sich in Lurup und Eidelstedt Musterwirtschaften
des Altonaer Fleischbeschauamtes zur veterinärmedizinischen Erforschung
der Ertragsverbesserung von Milchkühen. An der Grenze zum Altonaer Friedhof
unterhielt das Gestüt Nagel Weideflächen für Zuchtpferde. Auch
Forstwirtschaft lohnte sich im kleinen Stil, so befand sich an der Luruper Hauptstrasse
etwa dort, wo heute Deysi liegt, ein größeres Waldgebiet. Daneben
kam es auch zur militärischen Nutzung von Freiflächen. Das Gelände
gegenüber dem 1932 begründeten Dahliengarten diente Anfang des 20.
Jahrhunderts als Exerzierplatz der Bahrenfelder Kaserne. Der bis in die 40er
Jahre hinein vor allem für Militärflugzeuge betriebene Flugplatz hinter
dem Exerzierplatz gelangte in der NS-Zeit durch Vorführungen des Jagdfliegers
und maßgeblichen Konstrukteurs der NS-Luftwaffe Ernst Udet in die Schlagzeilen.
Der Artenreichtum vor allem in den Feuchtbiotopen war vielfältig, es gab
zahlreiche seltene Tier- und Pflanzenarten, so erzählen ZeitzeugInnen von
Störchen, Iltissen, Sonnentau auf den Moorflächen und Seerosen auf
den Teichen und Tümpeln. Das Grenzgebiet zwischen Lurup und Bahrenfeld
wurde 1918 zum Standort des Altonaer Volksparks ausgewählt. Im gleichen
Jahr eröffnete der Altonaer Friedhof seine Pforten. Damit wurde das einstige
Straßendorf Lurup seit den 20er Jahren auch als Naherholungsgebiet attraktiv,
für die erholungsbedürftigen Städter sorgten die Gaststätten
Eberhard und Röpke auf beiden Seiten der Luruper Hauptstraße etwa
dort, wo heute McDonalds steht. Leider hat die Geschichte menschlichen Einwirkens
auf die Landschaft in Lurup auch weniger glanzvolle Seiten. mehr davon
Teilweise wurden die Sumpf- und Moorgebiete zur Müllablagerung genutzt,
möglicherweise auch auf Betreiben der Altonaer Stadtreinigung hin (Lurup
gehörte von 1927 bis 1937 zu Altona, also zu Schleswig-Holstein). Mit Beginn
der Wirtschaftskrise und damit verbundener Massenarbeitslosigkeit wurden die
Ländereien dieser Region von obdachlosen verarmten Familien vor allem aus
Altona und St. Pauli besiedelt. Arbeitslosensiedlungen entstanden, dabei wurden
alle erdenklichen Materialien, vor allem Abbruchmaterialien, genutzt. Viele
dieser Siedler waren ehemalige Beschäftigte der Altonaer Fischindustrie
und verarbeiteten kostengünstige bzw. kostenlose Materialien aus der Fischindustrie,
vor allem Fischkisten, zur Errichtung von Notunterkünften. Aus diesem Grunde
ist Lurup auch als Fischkistendorf bekannt. (Mehr darüber siehe
unter Fischkistensiedlungen.)
Pressefotos aus dieser Zeit zeigen Elendssiedlungen inmitten von Hausmüll
und Unrat. Einige ZeitzeugInnen aus dieser Zeit berichten, das sie zum Bau der
Hütten nur Gelände nutzen konnten (teilweise illegal, ohne baupolizeiliche
Genehmigung, teilweise als billiges Pachtland) das als Müllfläche
genutzt wurde, vor allem Hausmüll. Die Siedler bohrten eigenhändig
Brunnen, stellenweise war das Wasser sehr eisenhaltig. Die Besiedlung führte
zur Verlandung breiter Moorflächen. Die Moorschichten waren nicht sehr
dick, wo die ca. 1,5 m dicke Torfschicht durchstoßen wurde, konnte das
Moorwasser schnell absickerten. Einen Anschluss an die städtische Wasserversorgung
gab es erst in den 50er Jahren, nicht alle Siedler waren von dieser Notwendigkeit
überzeugt, bedeutete das doch eine Zunahme der Kosten, das Wasser aus den
eigenen Brunnen war schließlich kostenlos. In einigen Fällen mussten
die Siedler von der Gesundheitsbehörde dazu gezwungen werden, ihre eigenen
Brunnen aufzugeben. Auch in Presseberichten der damaligen Zeit wird die schlechte
Hygiene in diesen Siedlungen bemängelt, so in einem Artikel Der Welt
1951: Der Umstand, dass aller Unrat ins Gartenland verarbeitet und in
die Kanäle geworfen wird, die wiederum mit der Wasserversorgung in Zusammenhang
stehen, erweckt schwerste hygienische Bedenken." Teilweise hatten die Siedler
die Jauche aus den Sickergruben für die Düngung der eigenen Gemüsebeete
genutzt. Entsprechend häufig wird von Wurmkrankheiten vor allem der Kinder
berichtet. Der Anschluss an die Kanalisation erfolgte ebenfalls erst in den
50er Jahren. Die Keller der Häuser standen bis in die 40er Jahre hinein
im Frühjahr zur Schneeschmelze unter Wasser, der Grundwasserspiegel war
bedeutend höher als heute. Der größere Teil der Moor- und Sumpfgebiete,
von denen heute noch sehr viele Straßennamen wie Sprützmoor und Torfweg
zeugen, wurde mit der Bebauung und Versiegelung in den 50er und 60er Jahren
trockengelegt. Der Grundwasserspiegel sank so erheblich, dass es heute kaum
noch vorstellbar ist, dass noch vor einer Generation weite Gebiete Lurups Moor-
und Sumpfgebiete gewesen sind. Nur einige kleine Schutzgebiete, so das Naturschutzgebiet
Müllergraben und die kleinen Tümpel hinter Swattenweg und Friedrichshulder
Weg erzählen noch aus dieser Zeit.
Der Luruper und Osdorfer Raum war auch für den industriellen Abbau seiner
Kiesvorkommen interessant. In den 20er Jahren begannen Unternehmer wie Heidohrn
mit dem systematischen Abbau der Kiesvorkommen, der Kiesabbau war sehr lukrativ,
da es sich um hochwertigen Sand und Kies aus eiszeitlichen Ablagerungen handelte.
(Eine Dauerausstellung im Geomatikum der Hamburger Universität zeigt Lackabzüge
auch dieser Gruben.) In den 40er Jahren
gab es außerordentlich viele Kiesgruben in Lurup, Osdorf und Flottbek,
so in der Damaschkestraße (heute Farnhornweg), am Rugenbarg, am Flaßmoor,
am Luckmoor, in der Eckhoffstraße (heute Jevenstedterstraße), mehrere
Gruben am Böversland. Namen wie Grandkuhlenweg und Grubenstieg
erinnern noch heute an diese Zeit. Am Engelsbrechtweg an der Grenze zu Osdorf
wurde der Kies von einem Hartsteinwerk vor Ort zu Ziegeln verarbeitet. Heute
sind die Gruben dieses Unternehmens unter Wasser gesetzt und dienen als Erholungsraum.
Derart schonend ist nicht in allen Fällen mit den ausgeräumten und
stillgelegten Kiesgruben verfahren worden.
Die Gruben wurden teilweise von den Nationalsozialisten auch als Einsatzort
für Zwangsarbeiter mißbraucht. Die relativ geringe Besiedlungsdichte
machte diese Region für die Nazis für zahlreiche Lager und ein Frauen-Außenlager
des KZ Neuengamme im Friedrichhulder Weg interessant. Die KZ-Häftlinge
und Zwangsarbeiter wurden vor allem von Firmen der Bauindustrie zum Errichten
von Plattenbauten für ausgebombte Mitarbeiter der Bahn gezwungen. NS-Dokumente
lassen die Vermutung zu, dass der Abbau von Kies und die Entsorgung von Bauschutt
ebenfalls zu den Aufgaben von Zwangsarbeitern gehörte.
Viele Siedler bezogen ihre Baumaterialien aus diesen Gruben. Sie nutzten die
stillgelegten Gruben auch für den eigenen Hausmüll, eine Sperrmüllabfuhr
gab es damals nicht. Das bedeutet, dass auch Baumaterialien und Farbreste arglos
in die Gruben gekippt wurden. Vor allem aber auch Industriebetriebe nutzten
die Möglichkeit, in diesen Gruben ihren Müll loszuwerden. Dabei ist
davon auszugehen, dass mit den Betreibern der Gruben entsprechende Nutzungsverträge
geschlossen wurden. Die Gruben waren sehr unfallträchtig. Von einer Grube
in der Damaschkestraße ist ein tödlicher Unfall überliefert,
ein Junge erlag seinen Wunden, die er sich durch Glasscherben zugezogen hatte.
Mehrfach wurden in den Gruben spielende Kinder durch Hangrutsch in Lebensgefahr
gebracht. Eine der Gruben im Böversland, auf der sich heute das Jugendheim
befindet, hatte in den 40er Jahren eine Grubenaufsicht, dies war auch deshalb
notwendig, da in dieser Grube Industriemüll in großen Mengen abgelagert
wurde. Bei dem Industriemüll soll es sich um eine größere Anzahl
von Pötten, also Fässern, mit teerhaltigen Materialien
gehandelt haben. Bei dem Abwurf wurden auch zahlreiche Kanister mit ebenfalls
teerartig aussehenden Materialien beschädigt, so dass der Inhalt in das
Grundwasser sickern konnte. Auch Abfälle der Blechindustrie (Blechembalagen)
befanden sich in dieser Grube. Genutzt wurde sie auch vom Altonaer Friedhof
vor allem für organische Abfälle und von Anwohnern für die Entsorgung
ihres Hausmülls.
Einige Gruben in Lurup und Osdorf wurden nach dem Krieg mit dem Trümmerschrott
Altonas, Eimsbüttels und auch Rothenburgsort aufgefüllt. Auch auf
dem Brachland zwischen Damaschkestraße (heute Farnhornweg) und dem Altonaer
Volkspark wurde der teilweise mit der Straßenbahn durch ganz Hamburg transportierte
Trümmerschutt abgelagert. Die Nutzung der Gruben als Müllabladeplatz
wurde nach dem Krieg bis in die 60er Jahre hinein fortgesetzt.
So wurde die zweite Grube im Böversland,
die dem Bauer Groth gehörte und heute zu einem kleinen Hügel aufgeschüttet
worden ist, in den 50er und 60er Jahren von zahlreichen Industriebetrieben aus
dem Umland genutzt und mit Industrie-, aber auch Hausmüll praktisch aufgefüllt.
Möglich auch, dass die Grube nach der Sturmflut 1962 zum "Entsorgen"
der Kadaver ertrunkenen Viehs genutzt worden ist. Vergleichbar wurde auch mit
der Grube in der Jevenstedtstraße (an der Grenze zum Eckhoffplatz hin)
und den Gruben am Rugenbarg und am Luckmoor verfahren. Aufgrund den damit verbundenen
Gefahren ist die Freifläche hinter dem Parkpklatz am Eckhoffplatz bis heute
nicht bebaut worden. Wie sehr diese Praxis damals in dieser Region verbreitet
war, belegen auch die vielen Folgeschäden. Die Gasvorkommen in den Kellern
der Neubausiedlung am Willi-Hill-Weg Nähe Böversland sind nur einer
von vielen. Der Bau der Arena am Volksparkstadion wurde 1999 durch Schäden
des Baugrundes erschwert, bei dem es sich um eine alte, stillgelegte Müllhalde
aus den 50er Jahren handelt. Es kam auch hier zu Ausdünstungen durch Methangas.
Auch die mehrfach in die Schlagzeilen geratene Firma Stoltzenberg an der Grenze
zwischen Stellingen und Lurup zeigt die damalige Praxis vieler Industriebetriebe,
Abfälle, in diesem Falle der Giftgasproduktion für den 1. Weltkrieg,
vor Ort zu entsorgen. Im Jahre 1979 verletzten sich Kinder auf dem
Geländer der Chemiefabrik, beim Spielen mit dort gefundenen Munitionsteilen
schwer, ein Kind erlag seinen Verletzungen. Der kontaminierte Boden dieser Fabrik
stellt noch immer eine Gefahr für die Anwohner dar. Es kann damit gerechnet
werden, dass in Zukunft noch so manche Spätfolgen des einstigen sorglosen
Umgangs mit Abfällen im Luruper und Stellinger Raum Probleme aufwerfen
werden.
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