Für viele scheint sie so weit weg
zu sein, die Epoche, in der Europäer Kolonien eroberten und Sklavenhandel
betrieben. Aber sie ist präsent, auch in den Randgebieten Nordwest
Hamburgs und dem südlichen Schleswig Holstein.
Durchsucht man alte Adressbücher
nach Tante-Emma-Läden, findet man nicht nur in Lurup und Eidelstedt
sehr viele Kolonialwarenläden'. Ein paar Auszüge:
Es finden sich ca. 178 Einträge für Kolonialwaren im Altonaer
Adressbuch von 1937
Darunter die Bahrenfelder Straße, Kieler Straße, Osdorfer
Landstraße, so gab es die
Kolonial- und Fettwaren in der Bahrenfelder Straße 6, bereits 1927,
auch in der Bahnhofsstraße 15 in Eidelstedt, 1927 (vermutlich heute
Halstenbek) befand sich ein Kolonialwarenladen.
Ein Kolonialwaren Großhandel befand sich 1937 in der Weidenstraße
nahe der großen Bergstraße.
Neben den vielen in Ottensen und Blankenese gelegenen Kolonialwarenwie
z.B. Burchardt in der Lornsenstraße gab es auch mehrere Läden
mit Kolonialwaren an der Luruper Haupstraße:
Kolonialwaren Lentz an der Luruper Hauptstraße 63, 1931
Kolonialwaren Hasselbusch an der Luruper Hauptstraße 125, 1931
Kolonialwaren Heine Luruper Hauptstraße 137, 1931
Kolonialwaren Dormann Luruper Hauptstraße 38, 1931
Kolonialwaren Manz Luruper Hauptstraße 166, 1931
Kolonialwaren Gundlach Lüttkamp 43, 1937
Kolonialwaren Kloft, Kiebitzmoor 53, 1937
Kolonialwaren Peter, Sprützkamp 29, 1937
Dieses sind eher Stichproben, keine systematische Analyse der Adressbücher,
aber es fällt auf, dass es sehr viele Kolonialwarenläden gegeben
hat, das kann für das gesamte deutsche Reich, die NS Zeit und die
BRD gleichermaßen bis ca. 1950 behauptet werden, siehe auch die
regionalhistorische Webseite über Freiburg:
http://www.freiburg-postkolonial.de/Seiten/Kolonialwaren.htm
Viele dieser Kolonialwarenläden sind
im Straßenbild vor allem in den klassizistischen Gebäuden entlang
der Luruper Hauptstraße noch gut erkennbar, wenn auch in den meisten
Fällen die Beschriftung nicht mehr existiert.
Kolonialwaren waren Kaffee, Schokolade, Zucker aus Zuckerrohr, Tabak,
Reis ec., also alle Produkte, die in den kolonialisierten Ländern
in Afrika, Asien und Lateinamerika produziert wurden, von schwarzen Sklaven
oder entrechteten Plantagenarbeitern. Das galt auch über die Epoche
der Kolonialkriege hinaus. Spätestens ab den 1950er Jahren bezeichnete
das Wort Kolonialwaren allgemein Grundnahrungsmittel und Haushaltsbedarf.
Die Bezeichnung Kolonialwaren nimmt wie selbstverständlich eine hierarchische
Betrachtungsweise in Anspruch, kolportiert die Ideologie einer weißen
europäischen Herrenrasse, der die Reichtümer der Kolonien und
die kolonialisierten Menschen gleichermaßen zustünden.
Die Kolonialwaren wurden in den Kolonien aller europäischen Nationen
produziert. Nicht nur durch die Kolonialläden, auch durch Straßennamen
und Denkmäler wird eine rassistische Inanspruchnahme des Erinnerns
und der repräsentativen Geschichte zum Ausdruck gebracht, beispielsweise
durch die Glorifizierung der ehemaligen Kolonialherren und ihrer Besitztümer.
Die Ausstellung freedom-roads, die vom 23. August bis zum 22. September
auch im Kunsthaus Hamburg zu sehen war, zeigt deutlich, wie sehr die koloniale
Vergangenheit auch die Regionalgeschichte geprägt hat. Zu Straßennamen,
die die Projektgruppe Postkolonial e.V. in ganz Deutschland zusammengetragen
hat, gehören auch eine Straße in Schenefeld, der Ebenholzweg.
Schaut man sich die Umgebung dieser Straße genauer an, findet man
auch den Kameruner Weg zwischen Halstenbek und Schenefeld nahe dem Ebenholzweg,
eine Verlängerung des auch durch das angrenzende Lurup verlaufenden
Friedrichshulder Wegs. Möglich, dass auch die Schenefelder Straße
Waterhorn ein Hinweis auf eine koloniale Bedeutung dieses Gebietes sein
kann (Water Horn kann vieles bedeuten, es ist zum einen eine englische
Bezeichnung für eine Farnart, zum anderen für das Horns des
Wasserbüffels, kann aber auch auf eine niederdeutsche Bezeichnung
für ein Feuchtgebiet hindeuten). Der Kameruner Weg liegt am Rande
von heute landwirtschaftlich genutzten Feldern. So mag dieser Straßenname
ein Hinweis sein auf Bezüge eines ehemaligen Grundbesitzers oder
Handelshauses zur ehemaligen deutschen Kolonie Kamerun, wie auch die Ebenholzweg,
war doch das Ebenholz aus Kamerun prozentual am Weltmarkt am häufigsten
anzutreffen. Der Ebenholzweg ist ein Hinweis auf den Handel mit Tropenhölzern
und exotischen Pflanzen, der auch für das seit Mitte des 19. Jahrhunderts
bestehenden größten Baumschulengebietes Deutschlands in Halstenbek
und dem angrenzenden Schenefeld bedeutsam war.
Hölzer und Elfenbein, für Handelshäuser wie die Firma Woermann
ein wichtiges Handelsgut, vermehrten auch in Pinneberg und Schenefeld
ebenso wie natürlich in Altona und Hamburg den Wohlstand, der durch
den dänischen und deutschen Kolonialismus angesammelt wurde. Das
betraf auch kleiner Händler, wie Kaffee aus Ostfrika' vom Hamburgischen
Händler Hans Pfenningsdorf oder Bankgeschäfte wie die von Max
Daniel Kolonialwerte aus Hamburg. Zu Wohlstand gelangten viele Händler
auch durch den Sklavenhandel, so der dänische Kaufmann Heinrich Carl
von Schimmelmann, Plantagenbesitzer und Sklavenhändler, der seine
Handelsflotte auch über Altona betrieb. Hunderttausende Menschen
jährlich wurden aus dem Gebiet des heutigen Kongo versklavt. Das
hatte auch Auswirkungen auf Handeltreibende in Lurup, Schenefeld und Pinneberg,
die ebenfalls bis 1864 zu Dänemark gehörten.
Wie bedeutsam die Ideologie des Kolonialismus war oder vielleicht für
viele noch ist, kann an Straßennamen abgelesen werden, die immer
noch bestehen, die Nettelbeckstraße in Bahrenfeld etwa oder der
Roscherweg in Eidelstedt. Der Seefahrer und Sklavenhändler Joachim
Nettelbeck warb im 18. Jahrhundert für die Eroberung deutscher Kolonien,
ebenso wie Wilhelm Roscher im 19. Jahrhundert.
Die Initiative freedom roads listet auch die Hagenbeckallee und Hagenbeckstraße
in Stellingen auf. Der Tierpark ist eng mit der Kolonialgeschichte verwoben.
Ein Beispiel: Ab 1907 veranstaltete der Tierpark Hagenbeck sogenannte
Völkerschauen, von denen noch einige Senioren erzählen können.
Meine alte Mutter erinnert, dass sie als Kind mit ihren Eltern Hagenbek
besuchte und es komisch fand, dass die Kinder auf der anderen Seite eingesperrt
waren wie Tiere. Auf den Völkerschauen mussten Menschen die unter
anderem aus dem Sudan, Grönland, Kanada, oder dem Iran kamen, Menschen,
die als exotisch galten, sich zur Schau stellen. Diese Sichtweise sah
Menschen, die nicht in das eigene Schema passten, als die Anderen an,
die Wilden, die Auszugrenzenden, die Untermenschen.
Ein ehemaliger Luruper, der in den 1950er Jahren Konfirmand war an der
Auferstehungskirche an der Luruper Hauptstraße, erinnert sich, dass
einer der damaligen Pastoren mit Namen Busse sich den Jugendlichen stolz
als ehemaliger Missionar aus "Deutsch Südwest" vorgestellt
hatte.
Auf Ahnenforschung.net der Genealogischen Gesellschaft findet sich im
Deutschen Kolonialhandbuch von 1901 ein Dr. Busse, Geschäftsführer
Deutsch Südwestafrika, Adolf Woermann, Hamburg. Dazu gehörte
die Damara- und Namaqua-Handelsgesellschaft m. b. H. mit ihrem Sitz in
Hamburg in der Gr. Reichenstraße. Diese Handelsgesellschaft Adolf
Woermanns war führend im Aufbau der deutschen Kolonie. Die ebenfalls
zur Handelsgesellschaft gehörende Reederei der Woermann-Linie lieferte
die Logistik für den Völkermord an den Herero 1904.
Im Telefonbuch von 1936 findet sich auch ein Hinweis auf einen Vikar H.
Busse.
Es kann also vermutet werden, dass dieser Vikar familiäre Bezüge
zum Geschäftsführer der Handelsgesellschaft Adolf Woehrmann
gehabt hat. Dieser Vikar mag also mit zu jenen Autoritätspersonen
gehört haben, die aus einem rassistischen Kolonialdenken heraus die
Mentalitätsgeschichte der Nachkriegszeit nicht nur in Lurup mitgeprägt
hatten.
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