© Anke Schulz
Erinnerungen Überlebender der Zwangsarbeiterlager im Friedrichshulder
Weg
Besuch von Herrn Bereza in Hamburg, Erinnerungsbericht von Frau Rembikowska
und Frau Piatkowska
Friedricke Littman hat im Rahmen ihrer Recherchen auch mehrere Zwangsarbeiterlager nachweisen können, die sich im Friedrichshulder Weg befanden. Unter www.zwangsarbeit-in-hamburg.de hat sie Hinweise auf Akten des Hamburger Staatsarchivs dokumentiert, die belegen, dass sich neben dem Außenlager des KZ Neuengamme ab ca. Mai 1944 vier Zwangsarbeiterlager befanden. Diese wurden von der Deutschen Reichsbahn betrieben. In diesen sogenannten Ostarbeiterlager mussten ca. bis zu 460 Menschen aus Polen und der Ukraine für die Reichsbahn, aber auch Bauunternehmen und Unternehmen wie die Schiffswerft Niermann und sogar Privatpersonen aus dem Umland arbeiten.
Im September 2012 wurden im Rahmen des Besuchsprogramms für ehemalige Zwangsarbeiter
im Auftrag des Hamburger Senats eine polnische Delegation nach Hamburg vom Freundeskreis
KZ Gedenkstätte Neuengamme eingeladen. Unter dieser Gruppe Überlebender
der Hamburger Zwangsarbeiterlager aus Polen befand sich auch ein Überlebender
eines Lagers im Friedrichshulder Weg.
Herr Bereza, 1929 geboren, war als Jugendlicher gemeinsam mit seinen Eltern
nach dem Warschauer Aufstand von der Gestapo verhaftet und nach Deutschland
deportiert worden. Ab August 1944 musste er gemeinsam mit 10 weiteren Kindern
in einem der vier Lager im Friedrichshulder Weg für die Deutschen arbeiten,
die Kinder im Alter von 8 bis 15 Jahren waren gezwungen, in der Küche zu
arbeiten. Die Baracken des Lagers befanden sich in einer Reihe neben dem KZ.
Die Kinder hatten keinen Kontakt zur Eidelstedter bzw. Luruper Bevölkerung.
Der Vater jedoch musste an den Wochenenden in einer nahen Siedlung für
einen Privatmann arbeiten, vermutlich handelte es sich um handwerkliche Tätigkeiten
für den Ausbau des Eigenheimes. Einige Luruper und Eidelstedter waren also
unmittelbar Nutznießer dieses Unterdrückungssystems. Morgens, so
erinnerte sich Herr Bereza, mussten alle antreten zu einem Zählappell.
Die Verpflegung war sehr schlecht, so dass viele erkrankten. Wer krank war,
bekam noch weniger zu essen. Als die Briten 1945 das Lager auflösten, war
das auch für die Kinder eine große Erleichterung, sie feierten die
Befreiung begeistert. Die Kinder und ihre Familien kamen erst einmal in ein
Übergangslager für Displaced Persons nach Wentorf, wo die Kinder endlich
wieder zur Schule gehen konnten (Mathe brachte dem jungen Herrn Bereza besonders
viel Spaß). Nach ihrer Rückkehr nach Polen waren die Familien, anders
als die russischen und ukrainischen Zwangsarbeiter, keiner Schikane durch Stalinistische
Bürokraten ausgesetzt. Herr Bereza konnte studieren und wurde später
Mathematiklehrer.
Der Besuch Herrn Berezas vor Ort war sehr bewegend. Es sei, so meinte er, ganz
gut, dass so wenig noch an die damalige Zeit erinnert, dass in der Randowstraße
so viele Neubauten stehen und auf der Fläche der Zwangsarbeiterlager und
des KZs heute eine Sportanlage zu finden ist so sei es für ihn leichter,
die Erinnerung an das Geschehen abzuschließen.
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Herr Bereza gemeinsam mit einer Dolmetscherin bei einer Begehung in der Randowstraße |
Von Herrn Bereza habe ich die ergreifende Schilderung von Krystyna Rembikowska
auf Polnisch bekommen können, sie war ebenfalls als Kind in diesem Lager
zur Zwangsarbeit genötigt worden. Der Text ist online auf Polnisch nachzulesen
unter http://www.warszawa.ap.gov.pl/1944/pilatowicz.html,
ebenso wie ein weiterer Bericht einer Überlebenden aus diesem Lager: http://www.warszawa.ap.gov.pl/1944/pilatowicz2.html.
Frau Krystyna Rembikowska (geb. Pilatowicz) war als 19jährige ähnlich wie Herr Beraza nach dem Warschauer Aufstand nach Deutschland deportiert worden. Sie hatte gerade das Lyzeum bestanden, geprüft über die Blumen des Bösen von Baudelaire, als die Deutschen das Haus, in dem sie wohnte, niederbombten. Ständig bedroht von Wehrmachtssoldaten, das Maschinegewehr am Anschlag, kam sie über Graz und Chemnitz nach Neumünster. Sie wurde in Neumünster Opfer von Menschenversuchen, die NS Behörden hatten einen Impfstoff gegen Typhus an ihr getestet, der schwere Schwellungen hervorrief. Am 30. August 1944 erreichte ihr Transport Hamburg Eidelstedt. Als Polin aus dem Generalgouvernement kommend, galt sie den Deutschen als staatenlos. Das Barackenlager bestand aus zwei Baracken, eine Baracke für die Zwangsarbeiter aus Polen, die andere für die aus der Ukraine. Die 19jährige musste in einem Kinderbett schlafen, auf dem eine alte Matratze lag. Die polnischen Zwangsarbeiter mussten ein P an der Kleidung tragen, waren außerhalb des Lagergeländes als Zwangsarbeiter gekennzeichnet. 6 Uhr morgens wurden die Zwangsarbeiter von den Wachleuten eingeteilt, sie arbeiteten für die Reichsbahn bis zum späten Abend. Hunger und Kälte waren entsetzlich, hinzu kam die Brutalität der Wachmannschaften, vor allem des Lagerführers. Deutlich spürte sie gegen Ende des Krieges die Angst der Deutschen vor den herannahenden Alliierten. Die Befreiung durch die Briten war auch für sie eine Erlösung, und in Wentorf im Auffanglager konnte sie wieder Mut fassen, vor allem wieder Kraft finden in der Literatur, war doch der Organisator des Auffanglagers im zivilen Leben Übersetzer englischer Literatur ins polnische. Nie wieder Krieg, so endet der Bericht von Krystyna Rembikowska, der unter http://www.warszawa.ap.gov.pl/1944/pilatowicz.html auf Polnisch nachzulesen ist, dort zeigt ein Foto von dem Lager die Zwangsarbeiter bei einem Einsatz am Rangierbahnhof Eidelstedt.
Auch die Schwester von Krystyna Rembikowska, Alina Piatkowska (geb. Pilatowicz)
überlebte als 14jährige den Warschauer Aufstand. Sie wurde am 13.
August 1944 in einem Güterwaggon nach Deutschland verschleppt und kam über
Linz, Chemitz und Neumünster nach Eidelstedt. Das Zwangsarbeiterlager lag
dicht an den Gleisen. Zwangsarbeiter aus Polen und der Ukraine mussten für
die Reichsbahn arbeiten. 15 Kinder waren darunter, sie mussten in der Küche
arbeiten, Kartoffeln schälen und halb verfaulte Rüben zerkleinern.
Morgens um 6 Uhr begann für die Kinder der Arbeitstag, er dauerte bis zum
Abend. 22 Menschen waren zum Übernachten in einen Raum gepfercht, der mit
doppelstöckigen Pritschen, auf denen einfache Matratzen lagen, ausgestattet
war. Auch die Kinder mussten Holzschuhe und Arbeitskleidung tragen. Zu essen
gab es Wassersuppe aus halb verfaulten Rüben oder Kraut und täglich
12,5 Gramm Brot, dazu dünnen Kaffee. Die Kinder hungerten ebenso wie die
Erwachsenen. Heimlich nahm sich das kleine Mädchen Obst aus einem nahe
gelegenen Garten.
Am 9. Mai 1945 wurde das Lager von britischen Soldaten befreit, die Kinder und
ihre Familien kamen nach Wentorf in eine Kaserne, wo sie bis zur Rückkehr
nach Polen blieben. Alina Piatkowskas freute sich ebenso wie ihre Schwester
sehr über die Rückkehr in die Heimat. Sehr schmerzhaft war, dass sie
als Folge der Mangelernährung im Zwangsarbeiterlager im Friedrichshulder
Weg an Anämie erkrankte. Ihr Bericht ist auf Polnisch unter http://www.warszawa.ap.gov.pl/1944/pilatowicz2.html
nachzulesen.
Die Besuchsgruppe aus Polen, zu der auch Herr Bereza gehörte, eröffnete
am 21.09.2012 in Bergedorf ein Mahnmal in Form eines Gedenksteins am Schleusengraben
für die Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge des KZ Neuengamme,
darunter auch Kinder, die für die Kriegsproduktion arbeiten mussten. Die
feierliche Einweihung wurde jäh gestört. Der Neonazi Frank A. verübte
auf diese Gruppe einen perfiden Angriff mit Pfefferspray, konnte glücklicherweise
schnell von der Polizei überwunden werden. Sieben Verletzte mussten in
ein nahegelegenes Krankenhaus zur Behandlung. Dieser Angriff verdeutlicht, dass
es nicht, wie vielerorts angemahnt, darum gehen kann, unter die Menschenrechtsverletzungen,
die während der NS Zeit verübt wurden, einen Schlussstrich zu ziehen.
Eine Aufarbeitung auch der Geschichte vor Ort, ein Nachforschen der Geschehnisse
vor der eigenen Haustür, schafft eine der Grundlagen für einen sensiblen,
geschichtsbewussten Kampf gegen ein Wiedererstarken der Nazis in der Gegenwart.
In diesem Sinne möchte ich mich herzlich bei Herrn Bereza, Frau Rembikowska
und Frau Piatkowska für ihren Mut und ihre Kraft, ihre Erinnerungen weiterzugeben,
bedanken. Dzieki.
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