Angst vor Ausländern | Anti - Ziganismus | Trümmerschutt aus Rothenburgsort | Kinderfeste bei Eberhard | Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit |
© Anke Schulz
Die ersten Nachkriegsjahre
Die entkräfteten und unterernährten Überlebenden
der Lager und des KZs im Friedrichshulder Weg wurden in der Zeit unmittelbar
nach dem Krieg von vielen Anwohnern als bedrohliche Konkurrenz erlebt. Es kursierten
zahlreiche Berichte über Diebstähle und Plünderungen in den umgebenden
Kleingärten durch die "displaced persons," wie die Überlebenden
von den Alliierten genannt wurden. Eine Zeitzeugin erinnert sich: "Als
der Krieg zuende war, lag mein Mann noch im Lazarett in Pinneberg. Da bin ich
hin mit dem Fahrrad nach Pinneberg auch durch den Friedrichshulder Weg gefahren.
Da saßen die Gefangenen draußen, die Frauen, und lausten sich und
machten sich schön, sie blieben da noch bei dem Lager. Viele haben erzählt,
dass sie andere, also unsere Leute, überfallen und ihnen alles weggenommen
haben, also Uhren und so weiter. Ich bin auch losgefahren, ich hatte auch ne
Uhr um, also mir ist nichts passiert. Mein Mann ist auch diesen Weg gegangen
und er wurde nicht behelligt, aber anderen Soldaten, denen haben sie alles abgenommen
was sie bei sich trugen."
Beschwerden über jüdische KZ-Häftlinge seitens der Behörden
in einer "Niederschrift über die Besprechung der Sozialarbeitsgemeinschaft
am 7. Juli 1945 lesen sich so: "Völlig eigenmächtig nisten diese
Leute sich dann immer wieder im Haus Neuerburg ein." In Lurup und Eidelstedt
waren die Behörden aufgrund der zahlreichen Lager in diesem Raum mit zahlreichen
Flüchtlingsströmen konfrontiert. Am 7. Juli 1945 wurde zu Protokoll
gegeben: " Flüchtlinge, die nach dem Norden wollen, können im
übrigen im Durchgangslager der Polizei, Elbgaustraße 2, unterkommen."
Zunächst waren die Behörden, deren Mitarbeiter noch in der NS-Zeit
rekrutiert worden waren, an einer schnellen Abschiebung dieser Menschen interessiert:
die "nicht-hamburgischen und besonders die kriminellen KZ-Häftlinge"
sollten Hamburg umgehend verlassen. "Herr R. empfiehlt, die Durchschleusung
stärker zu betreiben. In den Lägern melden sich viele Insassen für
eine Durchschleusung, stellen sich dann aber nicht ein. Es wird vermutet, daß
sie sich nur unter einem gewissen Druck meldeten, Hamburg aber ernsthaft gar
nicht verlassen wollen. Nach der Meldung wechseln sie vermutlich das Lager.
In den Lägern Elbgaustraße 2, Niedergeorgswerder und Tangerstraße
werden sie vorübergehend ohne Einweisungsschein aufgenommen." Aus
einer Notiz der Sozialarbeitsgemeinschaft: "Herr R. bittet, dem Deutschen
Roten Kreuz umgehend ein Lager mit etwa 250 Plätzen für die Unterbringung
von Flüchtlingen zuzuweisen. Die Aufnahme einer Gruppe Österreicher,
die in der Lederstraße unterkommen sollten, klappte dort heute nacht nicht.
Nach vielen Irrfahrten konnte schließlich mit Hilfe der Militärregierung
eine Unterbringung stattfinden. Herr R. bittet die Lagerbetreuung, Freiplätze
in Lägern nur aufzugeben, wenn diese auch wirklich vorhanden sind."
Die Überlebenden der Lager der italienischen Militärinternierten konnten
wieder in ihre Heimat zurückkehren, wie eine kurze Notiz in den Akten verrät:
"Täglich 1500 Italiener von Hamburg aus abtransportiert"
Kurt Erlebach berichtet, dass in der Jugendorganisation der KPD, der FJ, die
Mädchen von jeweils zwei Jungen nach Hause gebracht wurden, weil Überfälle
vor allem von den Ausländern, von Polen und Russen, den Überlebenden
der Zwangsarbeiterlager, befürchtet wurden. Die rassistische Blickweise
auf die vermeintlich kriminellen »Untermenschen aus dem Osten« der
sich als deutsch begreifenden Bevölkerung war nahtlos in die Nachkriegszeit
übergegangen.
Anti-Ziganismus bei den Luruper Behörden
Mit dem Ende der faschistischen Gewaltherrschaft in Deutschland
verschwanden also keineswegs die Ressentiments und Vorurteile, aus denen heraus
die Vernichtungspolitik der Nazis möglich gewesen war. Feindseligkeiten
gegenüber Sinti und Roma waren nach wie vor weit verbreitet. Am 26.06.1945
beschwerte sich das Polizeirevier Lurup beim Hamburger Polizeipräsidenten
über den "starken Zuzug von Rasseangehörigen" (der »Zigeuner«),
wo doch "kaum für deutsche Volksgenossen Unterbringungsmöglichkeiten
bestehen". Dadurch trete eine "gewisse Beunruhigung" in der Bevölkerung
auf, diese Menschen würden als "Belästigung" wahrgenommen.
"Mancher deutsche ausgebombte Volksgenosse hätte das Land, das den
Zigeunern zugeteilt wurde, gerne bestellt und restlos ausgenutzt." Die
»Zigeuner« nutzten das Land, so der Revier-Oberstleutnant, nicht
restlos aus im Sinne der "Grünlandaktion". So wurden die Überlebenden
der Vernichtungslager, die es vermocht hatten, in die westlichen Besatzungszonen
zurück zu fliehen und in Lurup wieder eine neue Heimat zu finden hofften,
von den Behörden wahrgenommen. Um den Preis der Verleugnung ihrer Herkunftskultur
versuchten einige Sinti und Roma, wie in der Vorkriegszeit sich in die Mehrheitsbevölkerung
einzufügen. Andere grenzten sich von dieser Mehrheitsbevölkerung selbstbewusst
ab und lebten in eigenen Enklaven. So bestand in einer Kiesgrube nahe der Lederstraße
bis in die 50er Jahre hinein eine selbstverwaltete Gemeinschaft von Sinti und
Roma. "Im Wäldchen an der Damschkestrasse, da haben die gewohnt in
ihren Wagen und da wohnte auch wie sagt man der König von denen der wohnte
hier nach dem Krieg. Die hatten auch in einer Kiesgrube gesiedelt, am Hellgrundweg
zum Volkspark hin, da war die Kiesgrube." Die Ressentiments und Vorurteile
der Luruper Mehrheitsbevölkerung bestanden ungebrochen, teilweise bis heute,
wie es auch diese Aussagen alter Luruperinnen verdeutlichen: "Das war ne
ganze Horde, 30 waren das bestimmt, ne ganze Sippe, oder ne Familie war das,
mehr waren es nicht, das würde ich nicht sagen, aber bei denen weiß
man ja nie, die hatten mehrere Wagen."
Die Feindbilder der Mehrheitsbevölkerung hatten unter der faschistischen
Terrorregime mit dazu beigetragen, dass über 70% der europäischen
Sinti und Roma in den Vernichtungslagern ermordet wurden. Die Überlebenden
fanden in der Nachkriegszeit kaum Verständnis, und eine Entschädigung
wurde Sinti und Roma nur in den seltensten Fällen gezahlt. Noch in den
70er Jahren gab es eine breite Bürgerfront aus nahezu allen Parteien gegen
Wohnwagen von Sinti und Roma in der Stadionstraße. Bleibt zu hoffen, dass
nicht nur in Lurup durch eine gezielte Förderung der Bildung und Kultur
dieser Minderheit versucht wird, die alten Feindbilder abzulegen und Brücken
der Verständigung zu bauen.
Kohlen, Zucker und Eier klauen
Wißt ihr noch, wie einst verschrie'n
War'n die Nahrungs-Kalorien?
Neunzehnhundertfünfundvierzig
Jeder noch erinnern wird sich
Wie die Nahrung ziemlich mager
Und die Menschen dünn und hager!
Denn achthundert Kalorien
Bringt den Menschen nicht zum Blühen.
Zucker, Kaffee, Mehl und Butter
Sowie andr'es Menschenfutter
Alles gab's auf Karten nur,
Und die menschliche Natur
Konnte, aus bekannten Gründen
Nicht Befried'gung damit finden!
Schwarzmarkt blüht an allen Ecken
Alles, was man konnt, entdecken
Kauft man, wenn man's konnt erschwingen
Um den Hunger zu bezwingen.
(Hermes-Betriebszeitung 1950)
Wie überall in Deutschland war die Zeit unmittelbar nach dem Krieg geprägt von Hunger und Entbehrung. Der Schwarzhandel blühte. Die Soldaten entledigten sich unmittelbar nach Kriegsende ihrer Waffenlager, mancher Graben, manches Feld war auf einmal voller Gewehre, hingeworfen von Leuten, die Razzien fürchteten. Die ersten Prozesse gegen NS-Verbrechen fanden statt, und die ehemaligen Machthaber versuchten mit allen Tricks, ihre Spuren zu verwischen. Viele Kriegsversehrte und Flüchtlinge suchten auch in Hamburgs Westen Unterkunft und Verpflegung. Noch vor Kriegsende waren beispielsweise die "Räume im ehemaligen Siechhaus in Bahrenfeld für Fliegergeschädigte hergerichtet" worden. Mit einem Erlass der britischen Militärregierung vom 6. Nov. 45 wurde die Zuständigkeit für Flüchtlinge in einer besonderen Abteilung, der sogenannten Flüchtlingsabteilung, bearbeitet. Diese musste informiert werden über Wanderungsbewegungen der Zivilbevölkerung, die Lebensmittelkartenausgabe sowie die Lage auf dem Schwarzen Markt.
Siedlung Veermoor | Siedlung Veermoor | Nissenhütten | |
© Fotos: Archiv Thälmann Gedenkstätte |
Aus der Schweiz erreichen Hamburg Spenden für die notleidende
Bevölkerung, wie z.B. Schuhe, Lebensmittel. Viele Flüchtlinge fürchteten,
selbst für die Behandlungskosten für Krankheiten wie Geschlechtskrankheiten
und TBC aufkommen zu müssen, die Finanzierung der Arztkosten war nicht
geregelt und wurde unterschiedlich gehandhabt. Viele konnten aus den Krankenhäusern
nicht entlassen werden, weil sie keine geeignete Bekleidung hatten. In dieser
Situation wurden die Notunterkünfte in Hamburg statistisch erfasst, dazu
gehörten auch die Wohnlauben, insg. 512000. Damit kam auch den Randgemeinden
Hamburgs eine besondere Bedeutung zu.
In einem Auszug aus der Niederschrift über die Besprechung mit den Leitern
der Sozialabteilung der Ortsämter und Ortsdienststellen am 26.4.47 heißt
es: "Eine Feststellung des Wohnungsamtes hat ergeben, daß jeder 5.
Hamburger in einer Notunterkunft (Behelfsheim, Wohnlaube, Bunker, Keller in
Trümmern, Nissen-Hütte, Baracke usw.) wohnt, und daß auf den
einzelnen Einwohner nur ca. 5,6 qm Wohnraum fällt."
Viele Menschen überlebten durch Schiebereien, Kohlenklau, Diebstahl - weil
die Lebensmittelrationen nicht den Kalorienbedarf eines Erwachsenen decken konnten
und die Bekleidung bei weitem nicht mehr ausreichte. Die Hamburger Volkszeitung,
Hauspostille der KPD, vermittelt ein Soziogramm dieser Zeit:
"Einbrecher erbeuteten in der Weihnachtsnacht in einem Luruper Kolonialwarengeschäft
2 ½ Zentner Zucker, ½ Zentner Marmelade und andere Lebensmittel."
"Polizei verhinderte am Sonnabend in Eidelstedt und in der Rosenhofstrasse
die Beraubung von Güterzügen, die von Plünderern angehalten worden
waren, und nahm 4 Erwachsene und 4 Jugendliche fest."
"Etwa 300 Menschen hatten sich entlang der Eisenbahnstrecke Langenfelde-Eidelstedt
eingefunden, um durchfahrende Kohlenzüge zu plündern. Ein Überfallkommando
nahm 42 Personen wegen unberechtigten Aufenthaltes im Sperrgebiet fest und beschlagnahmte
5 Zentner Kohlen."
Verschiedenste Zeitzeuginnen, die selbst heute noch nicht genannt werden möchten,
haben mir versichert, dass es bestimmt noch mehr Menschen als 300 gewesen waren.
"Es war ein kleiner Volksaufstand".
Die Ernährungslage der Menschen nicht nur in Lurup war ausgesprochen schlecht.
Erneut wurde deutlich, wie wichtig die Möglichkeit zur Subsistenzwirtschaft
für alle Bevölkerungsgruppen war. Den allgemeinen Gesundheitszustand
deuten weitere Artikel aus der Hamburger Volkszeitung von 1946 an:
"Für die Bevölkerung sind die neuen Ernährungssätze
eine arge Enttäuschung. gegenüber der 92. Periode wird es weniger
Fleisch und Fett geben. Die Broterhöhung kann diese Kürzung nicht
ausgleichen, denn die Fett- und Eiweißrationen, die für die Erhaltung
der Gesundheit und der Arbeitskraft von entscheidender Bedeutung sind, liegen
unter dem Existenzminimum.
"Ernährungsschwierigkeiten haben bei Conz Electricitäts-Gesellschaft
m. b. h., Hamburg Bahrenfeld, zu Arbeitszeitverkürzung und starkem Leistungsabfall
geführt. Zur objektiven Feststellung des Gesundheitszustandes wurden deshalb
auf Veranlassung von Betriebsrat und Geschäftsleitung etwa die Hälfte
aller erwachsenen Beschäftigten, ärztlich untersucht." Das Gutachten
stellte u.a. bei 92% der Männer und 90% der Frauen klinische Zeichen von
Unterernährung fest, bei 22% Hunger-Ödeme."
Wieder wurde die Fähigkeit zur Selbsthilfe und zur Eigeninitiative herausgefordert.
Das geschah nicht immer in Übereinstimmung mit dem Willen der Behörden.
In der Siedlung Elbkamp und im Farnhornweg mussten die Menschen wie überall
erfinderisch sein.
"Es gab keine Familie, die nicht unter den Folgen dieses unseligen Krieges
zu leiden gehabt hatte. Zu den persönlichen, nicht wiedergutzumachenden
Verlusten kamen die Sorgen und Nöte um Verpflegung, Kleidung und Heizung.
Es gab eine Nacht in Lurup, da war durch wieder einmal die sprichwörtliche
Eigenleistung ein kleines Wäldchen abgeholzt worden. Heute würden
sich die Umweltschützer sicherlich die Haare raufen, doch hätten sie
in ähnlicher Situation die warme Stube nicht auch vorgezogen?"
Nicht wenige Luruper versuchten auf allen erdenklichen Wegen das Nötigste
zu organisieren, wer etwas besaß, musste fürchten, es durch Diebstahl
wieder zu verlieren:
"In der schlechten Zeit waren es auch die eigenen Leute aus der Umgebung
gewesen, die einen beklauten. Unser Nachbar hatte sich am Tage bis spät
Abend um zehn einen Schuppen gebaut für seine Geräte. Er hatte noch
was zu erledigen, als er um Mitternacht nach Hause kam, hatten Diebe den Schuppen
wieder abgebaut und das ganze Holz geklaut. Die wurden zwar erwischt und das
Holz wurde sichergestellt, aber es war ja erst mal alles kaputt. Aber die haben
das ja auch aus Not gemacht."
Aus einem Artikel der Hamburger Volkszeitung von 1946:
"Vom Schwarzen Markt
Am Freitag um Mitternacht stellte ein Polizeimeister am Luruper Weg 6 Männer,
die bei seinem Herannahen 5 Kisten abstellten. Die Kisten enthielten je 360
Eier, die kurz zuvor aus einem Großhandelslager in der Nähe gestohlen
worden waren."
Besonders schwer war es, an Feuerung heranzukommen. Kohlenklau wurde systematisch
betrieben, ohne ihn war eine Grundversorgung mit Heizmaterialien nicht möglich.
Das konnte manchmal kuriose Erlebnisse mit sich bringen:
"Wenn die nun vom Kohlenklau kamen mussten sie ja zur Bahnstation, mussten
also bei uns vorbei. Die sind mit ihren Säcken bis zu unserem Haus gekommen
und dann konnten die meisten nicht weiter. Die waren völlig erschöpft.
Dann haben die ihre Kohlen auf unseren Pfeiler gesetzt und haben geklopft und
gefragt, ob wir nicht helfen könnten. Mein Mann war bei der Polizei, und
wenn er dann gerade nach Hause gekommen war, war er ja noch in Uniform. Wenn
er dann die Tür aufgemacht hat - können sie sich ja vorstellen - dann
sind die gelaufen."
Rothenburgs Trümmerschutt nach Lurup
Der Krieg, in den die nationalsozialistische Ideologie geführt
hatte, hatte zwei Drittel der Stadt Hamburg zerstört. Auch in Lurup fielen
einige Gebäude den Bombenangriffen zum Opfer, aber in weiten Teilen waren
die Stadtrandsiedlungen verschont geblieben. Doch wohin mit den Trümmern
der Stadt Hamburg? Auch Lurup musste seinen Teil übernehmen. Am Volkspark
nahe dem Farnhornweg wurden die Trümmer von Rothenburgsort und anderen
zerstörten Hafengebieten Hamburgs abgelagert:
"Das dahinten ist Rothenburgsort und wie heißen die Stadtteile alle,
die Trümmer, das ist hier hinter, bis zum Friedhof hin, das war früher
ganz tief, das haben sie alles aufgeschüttet mit Loren, bis zu unserer
Grenze ran ist alles aufgefüllt worden." Auch das Lupinental im Rugenbarg
wurde mit Trümmerschutt aufgefüllt, so dass von der einst schönen
Grünfläche wenig übrig geblieben ist.
Die ersten Kinderfeste bei Eberhard
Noch waren viele Männer in Kriegsgefangenschaft, aber nach
und nach kehrten sie zurück. Viele versuchten, mit den Uniformen auch ihre
Verstrickung in das NS-Regime abzulegen.
"Mein Mann war noch in Pinneberg im Lazarett, ich wollte ihn mit dem Fahrrad
abholen. Aber als ich dort ankam, war mein Mann nicht mehr da. Er war Sanitätsfeldwebel
gewesen. Viele Soldaten hatten sich die Stabsabzeichen und Naziembleme von den
Schultern gerissen. Viele der Militärärzte hingegen liefen noch mit
allen Auszeichnungen umher. Einem dieser Ärzte hatte das nicht gepasst,
dass auch mein Mann sich der Nazi-Abzeichen gleich entledigt hatte. Ausgerechnet
der hatte ihm gesagt, er müsste sofort amputiert werden. Da hat mein Mann
sich allein auf den Weg gemacht und ist alleine hierher gekommen auf Krücken.
Und er ist dann später auch wieder gesund geworden. Das mit der Amputation
hat er dem als Schikane ausgelegt."
Für viele Heimkehrer es schwer, ihre Kriegserlebnisse zu bewältigen
und auch nur darüber zu reden. Schwer war es für die Männer auch,
weil Emotionen als unmännlich galten. Auch die meisten Frauen, die im Kriege
ihren Mann gestanden hatten, übernahmen wieder die traditionelle Frauenrolle.
Teilweise versuchten Frauen gemeinsam, ihren Alltag erträglicher zu machen.
Über eine Aktion in Harburg und Lurup, die von Frauen aller demokratischen
Parteien, auch der konservativen, getragen worden war, heißt es in der
Hamburger Volkszeitung:
"Hier sprechen Frauen des Volkes! Frauenleben - Frauenstreben - lachende
Kinderaugen in Lurup: Wer hat heute mehr Sorgen als die Frauen? Die Wohnungen
sind eng und unfreundlich geworden. Oft fehlt es am allernötigsten Hausrat.
Das mehr als knappen Essen soll eingeteilt werden. Zeug und Schuhe, besonders
für die Kinder, wollen auch unter den fleißigsten Händen nicht
mehr zusammenhalten. Dazu der Kummer um so viele Lieben, von denen man nicht
weiß, wo sie sind oder nur gar zu gut weiß, dass sie niemals wiederkommen
werden. Das alles liegt wie ein ungeheurer seelischer Alpdruck auf den Frauengemütern.
Und doch, Frauen wollen helfen, möchten besonders den Kindern Gesundheit
und Frohsinn schenken. Eine Frau für sich allein kann es nicht schaffen.
Aber Frauen sind ungeheuer erfinderisch, wenn es um ihr Liebstes und Teuerstes
geht. Die Luruper Frauen veranstalteten einen fröhlichen Nachmittag für
260 Kinder mit Musik, von den Kindern einstudierten Märchen, Reigen und
Liedern auf der Bühne und vor allem Kaffee und Kuchen und Süßigkeiten.
Zum Schluß erhielt noch jedes Kind ein Geschenk, von Frauen und Männern
in liebevoller Kleinarbeit gebastelt."
Eine derjenigen, die 1945 und 1946 Kinderfeste und Umzüge für die
Kleingartenvereine in der Gaststätte Eberhard an der Ecke Luruper Hauptstraße/Rugenbarg
organisierte, war auch Frieda Reimann gewesen, die Krieg und Zwangsarbeit überlebt
hatte und gemeinsam mit ihrem schwer kranken Mann in ihrer Hütte im Kleiberweg
wohnte. Auf einem dieser Kinderfeste speziell für die Siedlung Kiebitzmoor,
so erzählte mir eine ehemalige Luruperin, spielten die Kinder Blockflöte
auf der Bühne, und es gab Spenden von Geschäftsleuten, so dass unter
die Kinder Bonbons verteilt werden konnten. Das war in der schlechten Zeit etwas
besonderes.
Umzug eines Kleingartenvereins |
Blumencorso |
Koloniefest |
© Fotos: Uwe Scheer | 'Graffitti' - Bemalung einer Wand während eines Koloniefestes |
Aber auch die Erwachsenen feierten wieder. Bei Eberhard gab
es zum Beispiel Auftritte der Gruppe Die Laternenanzünder', angekündigt
auch in der Hamburger Volkszeitung: "Lurup, bei Eberhard, Luruper Hauptstr.:
»Die Laternenanzünder« spielen ihr neues Programm Der
gesunde Menschenverstand', Beginn 19:30 Uhr"
Hinter diesem Namen verbarg sich eine damals bekannte Agit-Prop-Gruppe. Oft
war ihr Refrain »Wir sind des Volkes Stimme - die Stimme der Massen sind
wir« als künstlerische Unterstützung vor allem von KPD-Veranstaltungen
zu hören. Sie traten vorwiegend in Hamburg auf und waren sehr beliebt.
Die Gruppe sang vor allem Arbeiterlieder und führte Sprechgesänge
auf.
Hier zeigt sich, dass die alte Arbeiterbewegung versuchte, wieder an ihre Traditionen anzuknüpfen. Aber längst hatte die Geschichte sie überholt. Mit der Gründung der SED zeichnete sich nicht nur die Spaltung Deutschlands ab, auch das Scheitern von Werten wie Demokratie und Selbstbestimmung, die viele Arbeiter einst zu der Arbeiterbewegung geführt hatten, zeigte sich deutlich mit der Entwicklung der DDR zu einer Diktatur. Die Arbeiterbewegung konnte sich von der Zerschlagung durch NS-Herrschaft und Stalinismus letztlich nicht wieder erholen. Damit wurden auch die Arbeitersiedlungen in Lurup zu einem Anachronismus.
Kleiner Exkurs: Der Umgang mit der Nationalsozialistischen Vergangenheit in Lurup nach 1945 Zum besseren Verständnis der Situation der Möglichkeiten der Benennung oder auch juristischen Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen, die während der Herrschaft der Nationalsozialisten im Raum in und um Lurup begangen wurden, darunter auch von Bürgern, die ihren Wohnort in Lurup hatten, möchte ich Ihnen die Gedenktafel der Luruper Auferstehungskirche vorstellen. Es handelt sich um eine Begleittafel, die zu einem ca. 2,5 m hohem Ehrenmal, das sich vor der Kirche befindet und 1935 errichtet wurde, Hintergrundinformationen liefert. Auf dem Ehrenmal sind die Namen aller im 1. Weltkrieg gefallenen Luruper eingraviert, geschmückt mit einem eisernen Kreuz. Vorab ein Zitat des Heimatforschers Udo
Krells von 1978, der jenen Pastor Karl Meyer, der 1935 das Ehrenmal mit
dem eiseren Kreuz vor der Auferstehungskriche an der Luruper Hauptstraße
errichten ließ, man kann fast sagen huldvoll' beschreibt:
Aus dem Text dieser Gedenktafel wird meinem Empfinden nach deutlich, dass die Frage nach der möglichen Schuld bekannter Luruper Autoritäten schwierig zu diskutieren war und möglicherweise immer noch ist. Im Rahmen kritischer, meist ehemaliger Gemeindemitglieder der Neuapostolischen Kirche Lurups wird scharf darüber diskutiert, dass Alfred Nörenberg, einer der Verantwortlichen des 1944 verübten Massakers in den Winsbergen an Zwangsarbeitern des DAF Zwangsarbeiterlagers in der Lederstraße unbehelligt als gefeierter SS Sturmbannführer in der Neuapostolischen Gemeinde Lurup 2006 seinen 96jährigen Geburtstag feiern konnte. Der mittlerweile verstorbene Alfred Nörenberg wohnte in Lurup. Weder Albert Schweim, verantwortlicher Gestapo-Chef, der die Massenerschießungen in den Winsbergen beauftragt hatte, noch Walter Kümmel, Lagerleiter des Frauen - Außenlagers des KZ Neuengamme im Friedrichshulder Weg, sind juristisch zur Verantwortung gezogen worden. Die Enteignung und Verfolgung der jüdischen Grundbesitzer in Lurup wurde nach 1945 nicht wirklich aufgearbeitet, meiner Wahrnehmung nach sogar kollektiv verleugnet.
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Für eine differenzierte Auseinandersetzung hier der
Hinweis auf Uwe Schmidt, er skizziert im Sinne Norbert Freis in seinem
Standardwerk 'Hamburger Schulen im Dritten Reich, Hamburg 2010', S. 731,
Formen der Auseinandersetzung mit der Nationalsozialistischen Vergangenheit: Es sind vor allem die Schulen und Kirchengemeinden in Lurup gewesen, die sich der Last der Vergangenheit gestellt haben, mit allen Konflikten, die das in einem so kleinen Stadtteil mit sich bringt. Der Gedenkstein im Friedrichshulder Weg an das Außenlager des KZ Neuengamme ist von der Geschwister - Scholl - Gesamtschule und der Emmaus - Kirchengemeinde initiiert worden, siehe auch den Artikel von Dr. Hans Ellger, ehemaliger Kirchenvorstand der Luruper Auferstehungsgemeinde: Ein Barackenlager am Friedrichshulder Weg - ein Frauenaußenlager des Konzentrationslagers Neuengamme
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